Der fünfte Sinn und sein Geheimnis

Weil ich dich riechen kann

Auf den Geruch eines Stinktiers oder von Spülwasser können Sie getrost verzichten? Was aber, wenn Sie gar nichts mehr riechen können? Wie sehr der Geruchssinn unser Leben bestimmt, beschreibt die Psychologin und Biologin Rachel Herz in ihrem Buch.

Das Geruchsempfinden ist höchst subjektiv. Was der eine als wohltuenden Duft empfindet, kommt dem anderen eher wie Gestank vor. Dafür ist Rachel Herz, Psychologin und Neurowissenschaftlerin an der Brown Universität im US-Staat Rhode Island, der beste Beweis.

"Dass ich den Geruch von Stinktier mag, hat folgenden Grund", erzählt Herz im Gespräch. "Mit fünf Jahren war ich mit meinen Eltern im Auto unterwegs. Es war Sommer, die Fenster waren offen. Es war ein wunderschöner Tag. Und plötzlich rieche ich etwas ganz Unbekanntes. Und meine Mutter sagt spontan: 'Ich liebe diesen Geruch'. Wie gesagt, ich kannte ihn nicht, habe ihn eigentlich gemocht, und meine Mutter, nach der ich mich als Kind natürlich gerichtet habe, hat ihn gern gehabt. Das heißt, ab damals habe ich diesen Geruch immer als angenehm empfunden. Später habe ich dann gelernt, dass er vom Stinktier stammt."

Schon ein Fötus kann riechen

Das Buch, "Weil ich dich riechen kann” ist ein Streifzug durch die teils skurrile und teils noch nicht restlos erforschte Welt des Geruchssinns. Die Autorin behandelt Aromatherapie ebenso wie Parfum, Atemgeruch als Krankheitsindikator, Duft als Auslöser von Erinnerungen, die Bemühungen, Filme sozusagen aromatisch zu untermalen und Mütter, die allein am Geruch der Kleider wissen, ob diese von ihrem Säugling stammen.

Präferenzen von Gerüchen sind erworben, erklärt Rachel Herz. Und dieser Prozess beginnt überraschend früh: "Der Geruchssinn ist beim Embryo schon im dritten Monat voll funktionsfähig. Die Aromastoffe dessen, was die werdende Mutter isst, sind im Fruchtwasser vorhanden. Das heißt, wir nehmen Gerüche schon vor der Geburt wahr. Nun ist es bei Menschen so, dass ihnen grundsätzlich etwas Vertrautes lieber ist als etwas Unbekanntes. Wenn nun Babys im Mutterleib Knoblauch, Alkohol und Zigaretten ausgesetzt waren, dann sind ihnen diese Gerüche lieber als etwa eine nach Vanille duftende Babyrassel."

Von der Nase in den Riechkolben

Die Wissenschaft hat den Geruchssinn lange Zeit vernachlässigt, meint die Autorin. Das liegt daran, dass der Mensch die Welt vor allem mit den Augen wahrnimmt. Die Rolle und Bedeutung der Nase wurde erst in den letzten Jahren anerkannt. Pro Tag atmet der Mensch immerhin 23.000 Mal. Dabei nimmt er eine Fülle von chemischen Aromastoffen auf.

Rachel Herz erklärt, was dann passiert: "Dieses Signal wird dann ins Gehirn, in den Riechkolben übermittelt. Dort wird es als Stinktier-Geruch, als Rosen- oder als Lavendelduft verarbeitet. Fast gleichzeitig geht die Information an die Amygdala, wo Gefühle empfunden und verarbeitet werden. Dort wird das Signal bewertet: Das riecht gut oder schlecht oder entspannend oder traumatisch. Dieser Informationsfluss geht blitzartig vor sich, denn der Riechkolben und die Amygdala sind quasi nur durch eine einzige Nervenverbindung voneinander getrennt."

Ohne Geruch schmeckt's nicht

Keine Art der Wahrnehmung löst Erinnerungen so spontan und so intensiv aus wie ein Geruch. Ein Hauch von einem Parfum kann eine alte Liebe, an die man schon lange nicht mehr gedacht hat, heraufbeschwören.

Auf den Spuren von Geruch und Erinnerungen tat Rachel Herz sich mit einem Kollegen, einem Schlafforscher, zusammen. Dabei machte sie eine unerwartete Entdeckung. "Ich dachte mir, vielleicht kann man Leuten helfen, sich an ihre Träume in der REM-Phase zu erinnern, wenn man sie während des Schlafs einen bestimmten Duft riechen lässt", so Herz. "Nach dem Aufwachen könnten sie dann den Duft wieder riechen, und das würde die Erinnerung an die Träume wecken. Doch zuerst mussten wir natürlich herausfinden, ob Leute überhaupt beim Schlafen etwas riechen. Und da wurde uns klar: Du meine Güte, was wir uns ausgedacht haben, ist nicht machbar, denn im Schlaf riecht man nichts."

"Ohne den Geruchssinn existieren für uns nur sehr einfache Geschmacksrichtungen: salzig, sauer, süß, bitter und eine fünfte - umami -, die allgemein schmackhaft ist", erklärt Herz. "Das heißt: Wenn man nicht riechen kann, dann schmeckt das Steak vom Holzkohlengrill nur salzig. Wenn nun jemand sich auf das Steak freut, das auf seinem Teller liegt und so schmackhaft ausschaut, und das einzige, das er schmecken kann, ist Salz, dann ist das sehr enttäuschend. Ich habe mit Leuten, die ihren Geruchssinn verloren haben, gesprochen, und sie entwickeln ein ganz eigentümliches Essverhalten. Sie haben großen Appetit auf eine bestimmte Speise, doch der Appetit wird nie befriedigt. Sie essen also immer mehr und nehmen zu. Dann werden sie desillusioniert und verlieren das Interesse am Essen und nehmen ab."

Mit offener Nase durch die Welt

Das Buch "Weil ich dich riechen kann" ist mehr als eine Aufklärung über den fünften Sinn. Es ist auch ein Plädoyer zu dessen Schulung. So wie man für etwas einen Blick entwickelt oder sein Gehör auf die Feinheiten von klassischer Musik trainiert, so lässt sich auch mit der Nase mehr anfangen.

"Man soll mit offener Nase durch die Welt gehen", meint Herz. "Man soll innehalten und schnuppern und einfach wach sein. Das ist nicht für jeden einfach. Manche Leute sind geruchsbezogener als andere. Doch das kann man üben. Wenn man etwa in eine neue Umgebung oder einen neuen Raum kommt, kann man bewusst ein paar Atemzüge machen und sich bewusst machen, was man riecht. Je öfter man das tut, desto selbstverständlicher wird es. Man nimmt im Laufe der Zeit immer mehr Gerüche wahr und erlebt dadurch die Welt emotionaler."

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Rachel Herz, "Weil ich dich riechen kann. Der fünfte Sinn und sein Geheimnis", Herbig Verlag