Ein Eingeständnis

Bucklig vom Leben

Neulich dachte ich über das Leben nach. Über mein Leben und das der sieben Anderen, die da mit mir im Wartezimmer saßen. Das heißt, die anderen sieben saßen, ich stand. Mit eingeklemmtem Ischiasnerv steht sich's besser, fand ich.

Der Nachteil ist, dass man sich in der Früh nur aus dem Bett rollen kann und den Tag kniend beginnt, was irgendwie demütigend ist. Der Vorteil, dass man in einer Stunde und zwanzig Minuten elf Hemden bügelt. Weil sitzen und entspannen ist sowieso nicht.

In den Gesichtern der anderen las ich Langeweile. Es war muffig, aber ein Wartezimmer ist keine Frischzellenkur. Die Zeitschriften waren fad oder alt. Glaube ich. Ich hätte mich bücken müssen, um das herauszufinden.

Also keine Ablenkung von außen. Dann denkt man eben über das eigene Leben nach. Wie es vor sechs Woche war mit hundsnormalen Rückenschmerzen vom Umzugskisten-schleppen. Und einem Elan, aber hallo! Putzen, Listen erstellen, Menschen delegieren, zack zack.

Und jetzt?

Der Elan steht im Eck unter der Stiege und schaut grantig. Vielleicht schläft er auch. Auf jeden Fall kann er gar nicht raus, weil vor ihm ein Elektrogriller lümmelt.

Die guten Vorsätze penzen mich weinerlich an. Ja, die Badewanne hat noch immer keinen Stoppel, ja, der Herd ist schmutzig.

Welcher Trottel hat die guten Vorsätze erfunden? Ein Sadist?

Jetzt weiß ich, warum es Fernsehshows gibt, in denen Loser, richtige Verlierer auf Siegespodesten zu irgendetwas gekürt werden. Es ist die trotzige Antwort auf die guten Vorsätze des Lebens und womöglich ein Befreiungsschlag für die vermeintlichen Sieger. Zumindest so lange, bis sie zurück in ihr Viertel kommen, wo ihnen die Nachbarn und –innen hämisch entgegen grinsen.

Dabei ist es nicht schlimm zu verlieren. Auch nicht falsche Entscheidungen zu treffen. Kennt man doch: Ich nehm den Job als Übergangslösung an, die Kunst muss eben zwei Jahre warten. Dann sind es fünf Jahre und fünfzehn und fünfundzwanzig. Aber immerhin ist ein Job da, der lecker Finnenbrot von Hofer garantiert und eine Versicherung bei - zum Beispiel - Ischiasschmerzen. Und ganz ehrlich: Wer innen tief drinnen Kunst produzieren muss, der tut es auch.

Nein, schlimm ist etwas anderes: dieses Sisyphus-artige, zwang- und lemminghafte Gute-Vorsätze-Fassen. An Geburtstagen, Silvesterabenden oder im zweiten Stadium eines ordentlichen Vollrausches.

Morgen wird alles anders und nächste Woche erst. Ich rühre keinen Tropfen mehr an, ab Montag geh ich joggen, nur noch Bioobst zwischen neun und sechzehn Uhr. Die neue Wohnung besorgt mir das neue Leben.

Ich bin zu alt für den Mist. Der nächste, der mir sagt, das Gute am Leben ist, dass man es jederzeit ändern kann, bekommt eins hinter die Ohren.

Der Käse schimmelt im Eiskasten, die Fenster haben Schlieren, das Kind hat ein eigenes Zimmer, in dem sich Kisten stapeln. Die Post liegt unerledigt am Tisch.

Aber ich habe jetzt rote Haare. Und beginne im September mit einer Diät.

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