Im Ausnahmezustand
Für diese Nacht
Bereits 1939 hatte Juan Carlos Onetti die Idee zu diesem Roman, der durchaus kafkaeske Züge trägt. "Für diese Nacht" erschien 1943 im Original, nun liegt er in der Übersetzung von Svenja Becker zum ersten Mal in deutscher Sprache vor.
8. April 2017, 21:58
Vor 67 Jahren saß Juan Carlos Onetti an seinem Schreibtisch in Buenos Aires, um einen Roman fertigzubringen. In Europa tobte der Krieg, Argentinien wirbelte durch eine Krise. Die Handlung für seine Geschichte hatte sich Onetti schon 1939 in seiner Geburtsstadt Montevideo (Uruguay) von einem spanischen und einem italienischen Anarchisten erzählen lassen, die gegen das Regime des spanischen Diktators Franco gekämpft hatten. Sie berichteten von den Schwierigkeiten in der Hafenstadt Valencia, den Evakuierungsversuchen der republikanischen Truppen und der Unmöglichkeit, eine Schiffspassage zu bekommen, die den Kommunisten vorbehalten blieb.
Onettis dritter Roman "Für diese Nacht" erschien 1943, nun liegt er in der Übersetzung von Svenja Becker zum ersten Mal in deutscher Sprache vor.
Letzte Chance zur Flucht
Dem Autor geht es weniger um äußere Handlungen und Begebenheiten als vielmehr um den inneren Weg seiner Figuren, die sich allesamt in einem Ausnahmezustand befinden. Sein Protagonist Ossorio etwa schlägt sich durch jene Nacht mit dem Ziel, die namenlose Hafenstadt auf einem Schiff endlich verlassen zu können. Es wird seine letzte Chance sein, dem verlorenen Kampf zu entkommen.
Wer hier gegen wen kämpft, bleibt unbenannt, und auch wo sich die menschlichen und unmenschlichen Kräfte gegeneinander aufreiben, erfährt der Leser nicht. Das freilich mit Absicht: Hier bleibt vieles im Ungewissen, weil menschliche Werte wie Loyalität oder gar Freundschaft keine Rolle mehr spielen dürfen. Der Bürgerkrieg verlangt nach anderen Werten und Fähigkeiten, nach Durchtriebenheit, Kaltblütigkeit und Misstrauen.
Geradezu zwingend fängt Onetti die flirrende Atmosphäre eines verlorenen Kampfes ein, in der es keine Sicherheiten mehr gibt, in der jeder auf sich selbst gestellt ist, in der ein falscher oder nicht bemerkter Blick und jede missratene Geste den Tod bedeuten können.
Überall auf der Welt
Onettis Parabel erzählt vom ständigen Kampf für und gegen eine Idee, eine Ideologie, von der Macht und ihrer Unterwanderung, ohne sich je konkret auf eine historische Situation zu beziehen. Gerade das ist das Bemerkenswerte an diesem Roman: Was in ihm geschildert wird, kann an jeder Ecke dieser Welt stattfinden, im mehr oder minder dramatischem Ausmaß, aber mit Folgen, die einem den Wert des Lebens - nicht nur des eigenen - kühl vor Augen führt.
Auch nach Jahrzehnten hat der Text nichts von seiner einnehmenden Dichte, seiner präzisen Sprache eingebüßt, im Gegenteil: Onettis Roman wird von einer den Text für alle Nachwelten konservierenden Zeitlosigkeit durch die Geschichte getragen, die nicht nur die unsere ist.
Opfer der Umstände
Wollte man Onetti einen Hang zum Kafkaesken andichten, so wäre diese Zuschreibung nicht falsch. Wie Kafkas Josef K. im "Proceß" schuldbeladen in einem Steinbruch zu Boden sinkt, stirbt Ossorio im Hafen, vor dem Schiff, das seine Rettung hätte sein können, als Opfer der Umstände, in die er geraten ist.
Überhaupt fragt man sich bei der Lektüre dieses Romans ständig, wie oft Kafka dem südamerikanischen Autor über die Schulter geblickt haben mochte: seltsam düstere Figuren, die sich durch die schützende Nacht bewegen, getrieben von Angst und Hoffnung, Verzweiflung und Misstrauen, einem Schicksal ausgesetzt, das zu beeinflussen sie längst jedes Mittel und jeden Gedanken verloren haben.
Verfilmung im Kino
Sicher ist es eine Herausforderung, gerade aus diesem Roman einen Film zu machen. Der italienische Regisseur Carlo di Carlo hatte sich 1977 dieser Herausforderung gestellt. Jüngst, 2008, wagte sich der Deutsche Werner Schroeter an Onettis Stoff. Sein Film "Diese Nacht" läuft ab Oktober in den österreichischen Kinos. Der Autor selbst hatte schon früh, in den 1930er Jahren nämlich, Interesse für die damals noch junge Kunstform gezeigt und in Zeitungen Filmbesprechungen publiziert.
Mag sein, dass die Verfilmungen vieles von der Beklemmung und Ausweglosigkeit, der sich die Figuren ausgesetzt sehen, auf die Leinwand bringen können, den bisweilen geradezu mikroskopischen und zeitlupenhaften Beschreibungen Onettis können die Filme wohl kaum Herr werden.
"Ich komme aus dem Norden, auf der Flucht vor den 'Hunden'", erklärt Ossorio an einer Stelle des Romans. Seine Getriebenheit bleibt uns zwar keine Lehre, aber sie erinnert uns daran, wie brüchig politische Systeme letztlich immer sind und welche Verantwortung damit verbunden ist, sie zum Vorteil der Menschen zu gestalten als sie für Ideen zu missbrauchen, die in einer Nacht wieder verlöscht sein können.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Juan Carlos Onetti, "Für diese Nacht", aus dem Spanischen übersetzt von Svenja Becker, Suhrkamp
Link
Suhrkamp - Juan Carlos Onetti
onetti.net - Fanseite (spanisch)