Größte Zensur kommt aus Hollywood

Regisseurin Xiaolu Guo im Interview

"Es ist mir wichtig, das Leben junger Menschen und die politische Situation im heutigen China aufzuzeigen", sagt die selbstbewusste Filmemacherin Xiaolu Guo.

Mit ihrem Spielfilmdrama "She, A Chinese" hat die 37-jährige Autorin und Regisseurin Xiaolu Guo beim 62. Internationalen Filmfestival in Locarno im Vorjahr den Hauptpreis abgeräumt. Beim Filmemachen in China stellt die politische Zensur für sie nicht das Hauptproblem dar. Es ist die kommerzielle Hollywoodmaschinerie, die den Markt dominiert und uns alle Möglichkeiten nimmt, sagte die in China und London lebende Filmemacherin im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Selbst die Intellektuellen hätten ihr Vertrauen an das Arthouse-Kino verloren. Unabhängig produzierte Filme besäßen gegen die großen Blockbuster aus Hollywood keine Chance mehr.

Frage: Wie schaffen Sie es, trotz der politischen Zensur als unabhängige Filmemacherin in China ihre Filme zu realisieren?

Guo: "Das ist oft schwierig, doch derzeit erlebt das Kino in China einen regelrechten Boom. Es werden sehr viele offizielle Propagandafilme produziert. Daneben existiert eine unabhängige Filmszene, die jedes Jahr rund 200 Undergroundfilme hervorbringt, was in etwa der Jahresfilmproduktion in Frankreich entspricht."

Müssen Sie Ihr Filmskript der Regierung vorlegen?
Nein, sofern ich keinen offiziellen chinesischen Film drehe, kann ich ihn einfach realisieren. Es ist allerdings schwierig, diese Art von Filmen durch die Zensur zu bekommen, damit sie in China gezeigt werden können. Auch im Ausland gibt es keinen Markt dafür. In Deutschland oder der Schweiz wird höchstens ein chinesischer Film pro Jahr ins Kino gebracht. Das ist ein weltweiter Trend, denn das Arthouse-Kino befindet sich in einer echten Krise. Die größte Zensur, die wir haben, ist die kommerzielle Hollywoodmaschinerie, die den Markt dominiert und uns alle Möglichkeiten nimmt. Es geht nicht nur um politische Zensur, die bei uns immer für das Hauptproblem gehalten wird. Doch das stimmt nicht, denn es ist der Kommerz, der den Markt bestimmt. Selbst wenn Filmemacher wie ich ihre Filme in China zeigen können, haben wir keine Chance, gegen große Hollywood-Blockbuster wie "King Kong" oder "Harry Potter" anzutreten.

Wie gehen Sie mit dieser Problematik um?
Die Entwicklung meines Spielfilms "She, a Chinese" ist mit kreativer Unterstützung des Sundance Institutes erfolgt. Die gesamte Produktion des Films hat fünf Jahre gedauert. Dabei hat habe ich eng mit britischen und deutschen Produzenten zusammengearbeitet. Dadurch hat dieses Projekt viel gewonnen und ist nicht nur für Chinesen interessant, sondern auch für die Zuschauer in anderen Ländern. China verfügt über eine 5000 Jahre Kultur, auf die wir sehr stolz sind, da wir eine eigene Identität besitzen. Doch wir haben uns nie für andere geöffnet. Jetzt in dieser globalisierten Welt wollen die Chinesen aufbrechen, was nicht leicht ist in diesem riesigen Land. Doch es gibt eine Neugier nach Popstars wie Madonna und Michael Jackson, für das dieses neue, junge China steht und eine Verbindung zum Westen schafft.

Parallel zu "She, a Chinese" haben Sie den Dokumentarfilm "One upon a time a Proletarian" gedreht, der im September beim Filmfestival in Venedig (2.-12.9.)seine Premiere feiert. War diese Doppelbelastung nicht sehr anstrengend?
Nein, es war mir zu langweilig, nur einen Spielfilm zu realisieren. Ich wollte auch einen Dokumentarfilm über das moderne China drehen. "One upon a time a Proletarian" ist ein sehr dunkler Film geworden, der den schleichenden Kapitalismus und die Post-Marxismus-Ära in China beleuchtet. Zu diesem Zweck habe ich mit einer kleinen Videokamera Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten in China interviewt wie einen Arbeiter, einen Bauern, ein Kind, einen Milliardär, einen Imbissverkäufer und einen Polizisten. In dieser poetischen Analyse zeige ich in zwölf Kapiteln den sozialen Zustand des Landes auf. Da ich dabei selbst die Kamera geführt habe, sind die Gespräche sehr persönlich geworden. Die Menschen haben Vertrauen zu mir entwickelt. Das ist das Schöne bei der Dokumentarfilmarbeit.