Hortogonals spielen György Kurtág, jr.
"Kurtágonals" auf exponiertem Grat
Das gemeinsame Projekt der zwei Elektroniker László Hortobágyi, György Kurtág jr. und des Bassisten und Elektronikers Miklós Lengyelfi ist eine achtteilige Suite mit nahtlosen Übergängen, auf die keine konventionellen musikalischen Parameter passen.
8. April 2017, 21:58
Die Erwartungen sind hoch und die Verblüffung, oder gar Enttäuschung, unausweichlich. Wenn, ja wenn man nämlich die zwei Kleinbuchstaben "jr" hinter dem Namen György Kurtág übersehen und sich auf Musik des Seniors eingestellt hat – also von György Kurtág, dem heute 83-jährigen Doyen zeitgenössischer Musik in Ungarn. Einem Meister der Verspieltheit, wohlwollender Strenge, Weiterdenker von Bach, Beethoven, Webern. Mit dieser gedanklichen Welt hat "Kurtágonals" so gut wie nichts zu tun.
Das gemeinsame Projekt der zwei Elektroniker László Hortobágyi, György Kurtág jr. und des Bassisten und Elektronikers Miklós Lengyelfi ist eine achtteilige Suite mit nahtlosen Übergängen, und in ihr wird mit konventionellen musikalischen Parametern recht schonend hantiert. Anders gesagt: Rhythmisch, harmonisch, melodisch, kontrapunktisch... tut sich streckenweise recht wenig, wenig bis hin zur Langeweile. Aber selbst das buchstäbliche Klangmaterial verwundert zunächst und befremdet: Da gibt es sphärische Chor-Imitate, wohlfeile Exotismen, längst überholt scheinende Klänge.
Nach der Schrecksekunde
Dann öffnen sich doch die Ohren: für die subtile Mikrotonalität, die Gamelan-Anklänge im Stück "Kurtagamelan". Sie öffnen sich für die feineren Texturen, die fast verborgenen "konkreten" Aufnahmen. Nicht umsonst hat László Hortobágyi in Indien studiert und geforscht, György Kurtág am Pariser IRCAM, an der hohen Schule elektronischer Klangerzeugung und -verarbeitung.
Ein (etwas paradoxer) Vorschlag zum besseren Hören: Die CD "bewusst nebenbei" zu hören, also nicht analytisch zu verfolgen, was geschieht, sondern die Musik laufen zu lassen. Eventuell an anderes denken... Und sich so hinterrücks hineinziehen lassen ins langsame Pulsieren, von der Grundströmung fortschwemmen lassen und mittreiben, etwa in den schön-unheimlichen, düsteren Abgrund der 14 Minuten von Track 4, "Lux-abyssum" (vielleicht ist es der Höhepunkt des Albums).
Rittlings dazwischen
Ein Urteil fällt schwer bei dieser Produktion, die rittlings auf dem Grat zwischen "ernster" elektronischer Avantgarde und Ambient-Ästhetik sitzt. Von beiden Seiten kann man ihr vorwerfen, Entscheidendes vermissen zu lassen. Wenn man denn etwas vorwerfen will. Aber so wird man Kurtágonals kaum gerecht. Es verlangt ein Hören, das Ansprüche an bestimmte kompositorische Entwicklungen ausschaltet, eine Bereitschaft zur (milden) Trance, zum viszeralen Aufnehmen. So kann man sie, wenn man mag, nach Lust und Laune durchstreifen, sich hineinfallen lassen, sie durchschweben, die luftigen Landschaften von Kurtágonals. Nichts dagegen!
Kurtágonals sattelt aber auch auf dem schmalen Grat zwischen Innovation und Gefälligkeit, und man darf (sich und andere) daran erinnern - ohne deshalb gleich Spaßverderber zu sein - dass ein François Bayle (...à propos Frankreich) schon vor Jahrzehnten ähnlich zwingende, hypnotische Landschaften geschaffen hat, und das mit technisch sicher einfacheren, aber konzeptionell-kompositorisch nicht weniger raffinierten Mitteln - und ohne Gefahr des Abrutschens über die drohenden Klippen des Kitsch.
CD-Tipp
László Hortobágyi, György Kurtág jr. und Miklós Lengyelfi, "Kurtágonals", ECM New Series 2097 / 476 3260
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