Leben in L.A.
Strahlend schöner Morgen
Im Mittelpunkt von James Freys neuem Roman steht Los Angeles, die Glamour-Metropole, die alle anzieht, die es besser haben wollen als in der Provinz. Vier Menschen stehen prototypisch für jene Träume, die mit der Stadt der Engel assoziiert werden.
8. April 2017, 21:58
Als einen Punkt, warum die aktuelle US-amerikanische Literatur ein weltweiter Erfolg ist, kann man die Nähe der Autoren zum Film anführen. Viele Schriftsteller schreiben nebenbei Drehbücher - sie wissen also, wie man einen Plot konstruiert, wie man Figuren zeichnen muss, damit sie gesellschaftliche Relevanz haben und den Leser berühren. Die Romane sind dann oft wirklich der sprichwörtliche Film im Kopf.
Mehrere parallele Handlungen
Dass James Frey Drehbücher geschrieben hat, merkt man seinem Roman "Strahlend schöner Morgen" auf jeder Seite an. Komponiert ist er wie einer jener Episodenfilme, die zurzeit sehr in sind. Öfters hat man das Gefühl, eine Fortsetzung oder Adaption von "L. A. Crash" zu lesen, jenem 2004 entstanden Film, der das Leben mehrerer Personen in Los Angeles verknüpft.
Auch Frey lässt mehrere Handlungen parallel laufen. Sie überschneiden sich nicht, stehen aber prototypisch für die Träume, die mit der Stadt der Engel assoziiert werden. Frey geht es nicht so sehr darum, das Leben einzelner Personen zu zeigen, sondern eine Biografie von Los Angeles zu liefern. Deswegen beschreibt er in Einsprengsel historische Daten der Stadt - zum Beispiel, dass sie im Jahre 1865 14.000 Einwohner zählte, oder dass im Jahre 1895 alle 23 Banken der Stadt mindestens einmal ausgeraubt wurden.
Über Seiten hinweg berichtet Frey, auf welchen Boulevards sich wie viele Autos stauen, und beschreibt die Kunden von "Larry's Firearms" an einem durchschnittlichen Tag. Der 20-jährige Terry ist darunter, der ein in Kalifornien zugelassenes AK-47-Sturmgewehr kauft, oder der 22-jährige Gus, der sich für eine 9-Millimeter-Beretta entscheidet.
Sein Buch beschreibe die Haltung der Stadt, sagt James Frey in einem Interview. Jeder denke hier beim Aufwachen, das wird mein Tag. Heute wird sich mein Leben verändern. Heute werden meine Träume wahr werden.
Auf etwas Großes warten
Vier Charaktere stehen im Mittelpunkt des Textes. Da gibt es den Säufer Old Man Joe, der ausschließen Chablis trinkt und jeden Morgen zum Strand geht. Warum er das tut? Das weiß er selbst nicht. Er macht es ganz einfach; so wie er auch ganz einfach auf etwas Großes wartet. Und dann passiert es: Old Man Joe findet ein junges, drogensüchtiges Mädchen zusammengeschlagen hinter einer Mülltonne. Der Penner entdeckt seine Mitmenschlichkeit und will dem Mädchen helfen. Aber am Ende ist sein bester Freund ermordet und Joe auch nur knapp dem Tod entronnen.
Überhaupt spielt Gewalt in diesem Text eine wichtige Rolle. Was nur folgerichtig ist, in einer Stadt, der das Verbrechen in die DNA eingeschrieben zu sein scheint. Eineinhalbtausend Straßengangs gibt es in LA. Und sie haben mehr als 200.000 Mitglieder. Frey zählt die Namen der bekanntesten - soll in diesem Fall heißen, der gefährlichsten und brutalsten - auf. Die 18th Street Westside, die 204th Street, die Avenues und die Black Stones. Über mehrere Seiten hinweg - Namen, Straßen Verbrechen.
Sein und Schein
In eines dieser Verbrechen wird auch Dylan hineingezogen. Mit seiner Freundin Maddie ist er nach Los Angeles geflüchtet. Beide haben ihre prügelnden Eltern und eine Heimat, die keine Zukunft verspricht, satt. In Los Angeles kann Dylan einen Job bei einem Motorrad-Mechaniker ergattern. Als der Besitzer von einer Gang zusammengeschlagen wird, findet Dylan eine Menge Geld hinter dem Kühlschrank. Er schnappt sich ein paar Tausend Dollar und versucht, damit, für sich und seine Freundin eine Zukunft aufzubauen. Und lange Zeit scheint es wirklich so, als würde alles klappen. Aber es scheint nur so.
Überhaupt der Schein. In Los Angeles befindet sich mit Hollywood die Weltmetropole des Scheins. Pro Jahr kommen ungefähr hunderttausend Menschen in die Stadt, weil sie in der Unterhaltungsindustrie Karriere machen wollen. Zuhause, da waren sie die Schönsten, Lustigsten, Begabtesten. Aber wer in Ohio oder Iowa oder Pittsburgh eine große Hoffnung ist, schrumpft in Hollywood schnell zum Kellner oder Hilfskellner oder Aushilfskellner.
Traumhaft schön
Geschafft haben es hingegen Amberton und Casey. Sie sind die höchstbezahlten und beliebtesten Filmstars. Traumhaft schön sind sie, traumhaft schön sind die Villen und genauso traumhaft schön sind ihre Kinder. Das Ehepaar kann sich sogar wirklich gut leiden - nur ist er schwul und sie lesbisch. Was kein Problem darstellt. Zumindest so lange die weltweite Öffentlichkeit nichts davon mitbekommt.
Dann aber beschließt jener Mann, dem Amberton so ungeniert nachgestellt hat und den er erpresst hat, um ihn endlich ins Bett zu kriegen, den Schauspieler zu verklagen. Und mit einem Schlag steht die Karriere des Weltstars auf dem Spiel.
Spannend geschrieben
Frey hat für sein Buch nicht speziell recherchiert. Er habe ganz einfach seine Vorstellung vom amerikanischen Traum mit seinen Ideen zur Geschichte von L.A. vermischt. 75 Prozent seiner vielen Fakten und Daten stimmten, sagt Frey, der Rest sei erfunden.
Ob wahr oder erfunden; ob zurechtgestutzt oder die Realität eins zu eins widerspiegelnd, das spielt hier keine Rolle. Denn "Strahlend schöner Morgen" ist ein großartiger Roman. Einer, der von Anfang bis zum Ende spannend geschrieben ist. Und der ein Bild von Los Angeles und den Vereinigten Staaten liefert, das so real zu sein scheint, dass es bereits zum Zerrbild geworden ist.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Das Buch der Woche, Freitag, 4. September 2009, 16:55 Uhr
Ex libris, Sonntag, 6. September 2009, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
James Frey, "Strahlend schöner Morgen", aus dem Amerikanischen übersetzt von Henning Ahrens, Ullstein Verlag
Link
Ullstein - Strahlend schöner Morgen