Nervenleitstrang des Orchesters
Notenarchive der Orchester
In einer losen Folge von Berufsporträts im Musikleben begibt sich Apropos Musik diesmal in die Souterrains und Keller von Opern- und Konzerthäusern. Dort arbeiten die Notenarchivare und -archivarinnen.
8. April 2017, 21:58
Besuch im Notenarchiv der Wiener Volksoper. Archivar Florian Wieninger, der auch Kontrabassist ist, zeigt mir „die Wand“: Alles, was in der Volksoper gespielt wird, liegt in Noten da.
Bürobetrieb und Nervenleitstrang
„Das Notenarchiv ist eine Mischung aus Bürobetrieb und musikalischem Nervenleitstrang der Volksoper“, sagt Wieninger. „Bei uns sammeln sich die Informationen, wie aktuelle Veränderungen während einer Probenphase; wir müssen das Material so herstellen, dass immer alle das studieren, was auch tatsächlich dann gerade gewünscht ist.“
„Mein Beruf nennt sich Archivarin am Theater“, sagt Maria Ausserlechner, „was nicht vergleichbar ist mit der üblichen Archivarbeit, wo jemand kramt und ausforscht. In meiner Arbeit am Tiroler Landestheater bin ich zuständig für das Notenmaterial aller aktuellen Produktionen.“ Am Tiroler Landestheater steht Maria Ausserlechner als Leiterin des Notenarchivs künstlerisch und in Vertragsangelegenheiten beratend der Direktion zur Verfügung. „Also es beginnt ganz von vorne, wenn den Kontakt mit den Verlagen herstelle. Viele Opern haben verschiedenste Fassungen, ich muss sehr viel recherchieren, um dem Regieteam und dem musikalischen Leiter soviel Material zur Verfügung stellen wie möglich.“
Funkhaus-Keller
Im Keller des Funkhauses ist das Notenarchiv für das ORF-Radiosymphonieorchester. Winnie Hörl vergleicht die Arbeit ihres Archivs mit den Notenarchiven der Wiener Philharmoniker und der Wiener Staatsoper. „Die Wiener Philharmoniker haben ihr Material meistens fix und fertig im Archiv, die stellen´s raus und können spielen.“ Notenarchivarinnen wie Winnie Hörl arbeiten viel mit Geliehenem: Orchestermaterial, also Stimmen für alle Instrumente, wird von den Verlagen hergestellt und ist meist nicht käuflich sondern nur leihmäßig zu erwerben, die Notenarchive sind für Ausleihe und Rückgabe verantwortlich.
Heikle Materie – Verbote mit Noten
Auch wenn da im Notenarchiv der Wiener Volksoper ein Kopierer steht, Noten dürfen nicht kopiert werden, auch jede Veränderung ist vom Verlag oder vom Komponisten zu bewilligen. Notenarchivarin Marga Reinwein und Notenarchivar Florian Wieninger müssen für jedwede Veränderung der Musik die Erlaubnis des Verlages einholen. Operette, zentrales Repertoire der Volksoper, wird besonders stark verändert, neue Strophen werden eingefügt um aktuelle Bezüge zu kreieren, neue Übergänge müssen geschaffen werden. Oper ist in dieser Hinsicht ¬– was Veränderungen und Adaptionen betrifft – für Notenarchivare einfacher.
An Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach haben die Notenarchive der Wiener Volksoper und des Tiroler Landestheaters reiche Erfahrungen gesammelt. Es gibt Werke, da weiß man von vornherein, dass es schlimm wird oder viel Arbeit wird“, sagt Florian Wieninger, „zum Beispiel Hoffmanns Erzählungen, welche Fassung spielen wir, dann beginnt das große Basteln“. „Es gibt einfach sehr viele Fassungen dieser Oper von Offenbach“, sagt Maria Ausserlechner, „ vom Komponisten selber, für die verschiedenen Opernhäuser, es gibt Dialogversionen, melodramatisch auskomponierte, eine Gesamtausgabe, in der alles gesammelt ist und in der trotzdem auch Teile wieder fehlen.“
Im Horn fehlt ein E
Manches geht gar nicht, aber vieles geht doch: und wenn das Material hergestellt ist, alle Erlaubnisse eingeholt sind, beginnen die Orchesterproben – die Archivare und Archivarinnen des Notenarchivs sind dabei. Spannend wird es immer vor der ersten Korrekturprobe. „Man hat mich im ganzen Haus gesucht“, erzählt Maria Ausserlechner, „ich soll zur Probe kommen, denn im Horn fehlt ein E, alle waren so irritiert, die Hornisten waren auf der Suche, es war auffindbar, fand sich schließlich in einer anderen Stimme. Ich fühlte mich sehr geehrt, wenn man mich sucht, wenn ein E fehlt.“
Notenarchivare und -archivarinnen sind immer Musiker, sie haben Orchester - oder eine andere Instrumentalistinnen-Erfahrung. Sie müssen an vieles denken, was das Publikum nicht hört, oder was es nur hören wird, wenn es falsch gemacht ist, zum Beispiel Blätterstellen.
Der Beruf des Notenarchivars oder der Notenarchivarin ist heikel, in musikalischer wie wirtschaftlicher Hinsicht: Dass verzweifelte Hornisten ein E suchen ist das Unglück der Musiker und Musikerinnen, dass das Notenmaterial tantiemenpflichtig ist, ist das Unglück der kaufmännischen Direktoren. Nicht nur dürfen Noten nicht kopiert werden, auch nicht die einzelnen Stimmen der Instrumente, es sind die verschieden Notenausgaben von Opern oder Operetten tantiemenpflichtig, auch wenn der Schöpfer oder die Schöpferin des Werks mehr als 70 Jahre tot ist.
Die Auswahl des Notenmaterials ist also nach verschiedenen Gesichtspunkten zu treffen:
- gute Lesbarkeit, die auch alle Bedürfnisse der Orchestermusiker und Musikerinnen berücksichtigt – das wäre zB die gute Gelegenheit zum Umblättern.
- Notenmaterial, für das der Herausgeber möglichst wenig oder keine Tantiemen verlangt
- ein kulanter Verlag, der bei Werken zeitgenössischer Musik mit sich reden lässt, was die Tantiemen für Verlag und Autor betrifft.
Hör-Tipp
Apropos Musik Sonntag, 6. September 2009 15:06 Uhr