Das Niveau muss stimmen
Christoph von Dohnanyi zum 80.Geburtstag
Ein Unbestechlicher, ein musikalischer Weltbürger, ein Wegbereiter der zeitgenössischen Musik wird 80: Christoph von Dohnanyi. Ob am Konzertpodium oder im Opernhaus: Christoph von Dohnanyi ist Perfektionist - und ein Musiker mit geistigem Konzept.
8. April 2017, 21:58
Eine Geschichte kurisiert: Wie Christoph von Dohnanyi einmal bei den Berliner Philharmonikern ein besonders schwieriges modernes Konzertprogramm einstudierte (also ein Programm, wie es für ihn gang und gebe ist) und das Orchester am regulären Ende der Probe fragte, ob die Musiker denn nun der Meinung seien, schon das ihnen gemäße Niveau erreicht zu haben. Worauf noch eine Stunde Probe angehängt wurde und das Niveau stimmte.
Familiäre "Vorbelastungen"
Christoph von Dohnanyi kann streng, unerbittlich, scharf in seinem Urteil und in der Wortwahl sein. Vielleicht sollte man wissen, daß sein Vater in der NS-Zeit im Widerstand war und Mitarbeiter von Canaris, noch 1945 wurde er im KZ ermordet. (Christoph von Dohnanyi ist Neffe des evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer.)
So wie sein später in der Politik erfolgreicher Bruder Klaus von Dohnanyi studierte Christoph anfangs Jus, aber die Musik siegte. Und auch sie lag in der Familie: Großvater Ernst, Ernö, von Dohnanyi war um 1900 ein weltweit gefeierter Starpianist und gehörte zu den individuellsten ungarischen Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts - weit abseits der zeitgenössischen Klänge, für die sich dann der Enkel begeisterte. In den USA, seit den Jahren des Zweiten Weltkriegs Ernst von Dohnanyis Exil, hat Christoph von Dohnanyi noch bei ihm studiert, daneben aber auch Dirigentenkurse bei Leonard Bernstein in Tanglewood besucht.
Als die Wiener Philharmoniker "Rosenkavalier" neu lernten
Mit überlegenem Intellekt hat sich Christoph von Dohnanyi stets für die musikalische "Moderne" eingesetzt: Schönbergs "Moses und Aron" (legendär seine Einstudierung der Wiener Staatsopern-Erstaufführung in den 1970er Jahren, mit unzähligen Proben), Bergs "Lulu", das Neueste von Henze, damit brillierte Dohnanyi ein Dirigentenleben lang, das in Lübeck 1957 begann, als Dohnanyi zum bis dato jüngsten Generalmusikdirektor Deutschlands ernannt wurde.
Als Opernchef in Frankfurt und Hamburg, danach als Operndirigent "frei" zwischen London, Wien, Paris, Salzburg und Zürich pendelnd, hat Christoph von Dohnanyi gern mit avantgardistischen Regisseuren gearbeitet, im Musikalischen aber "Werktreue", Akribie, Akuratesse über alles gestellt. Legendär ist seine Salzburger "Rosenkavalier"-Einstudierung 1978, bei der er den Wiener Philharmonikern in den von ihnen jahrzehntelang benützten Noten Dutzende bis dahin unbemerkte Fehler korrigierte.
Pedanterie und Überschwang
"100 Mann und ein Perfektionist", so wurde seinerzeit die "Ehe" zwischen George Szell und dem Cleveland Orchestra beworben. In der Dohnanyi-Ära in Cleveland, 1984 bis 2002, wiederholte sich diese Konstellation. Dort waren es dann, der lokalen Tradition entsprechend, die zeitgenössischen amerikanischen Komponisten, die von Dohnanyis unfehlbarem Ohr profitierten. Am Opernsektor bleiben aus Christoph von Dohnanyis Zeit in Cleveland konzertante Wagner-Aufführungen in Erinnerung, die teils auch den Weg auf CD gefunden haben. Parallel dazu betreute Dohnanyi gemeinsam mit Regisseur Adolf Dresen eine neue "Ring"-Einstudierung an der Wiener Staatsoper.
Der feurige Überschwang des ersten "Walküren"-Aufzugs kann immer dann als klingendes Gegenargument eingesetzt werden, wenn Christoph von Dohnanyi, der als genauer bis pedantischer Einstudierer berühmt und berüchtigt ist, ausschließlich als "trocken" oder "unterkühlt" beschrieben wird. Im Wiener Haus am Ring war der Dirigent in den 1970er Jahren viel zu Gast, für "Zauberflöte", "Meistersinger", für Gottfried von Einems Schiller-Vertonung "Kabale und Liebe", unter anderem mit Anja Silja, seiner langjährigen Ehefrau.
Schönberg und Johann Strauß zum 80er
Die Karriere hat Christoph von Dohnanyi zum "Weltbürger" gemacht: An der New Yorker Metropolitan Opera war "Falstaff" seine Debütoper, in London amtierte er als Principal Conductor des Philharmonia Orchestra. In den letzten Jahren, in denen bei Dohnanyis Konzerten der "klassische" Kanon in den Vordergrund rückte - Mozart, Beethoven, Brahms, Bruckner -, standen "Moses und Aron" an Covent Garden, "Idomeneo" und "Der fliegende Holländer" in Zürich, "Herzog Blaubarts Burg" bei den BBC Proms, "Elektra" und "Arabella" in Paris, "Salome" bei den Salzburger Festspielen auf seinem Terminkalender.
Seit 2004 steht Christoph von Dohnanyi dem NDR-Symphonieorchester in Hamburg als Chefdirigent vor, am 8. September, zu seinem 80.Geburtstag, leitete er mit diesem Klangkörper ein Festkonzert, in dem György Ligetis "Lontano" neben der "Zauberflöte" steht, und "Der Zigeunerbaron" neben Schönbergs "Friede auf Erden". Ein Unbestechlicher, ein Musiker mit geistigem Konzept, in jedem Augenblick.
Hör-Tipps
Musikgalerie, Montag, 7. September 2009, 10:05 Uhr
Apropos Oper, Donnerstag, 10. September 2009, 15:06 Uhr