Der neue Wolf-Haas-Krimi

Der Brenner und der liebe Gott

Sein Name ist Haas. Wolf Haas. Sein Alter: 49. Sein Status: Kult. In seinem jüngsten Opus "Der Brenner und der liebe Gott" gönnt Wolf Haas seinem von vielen totgeglaubten Detektiv Simon Brenner eine späte, unverhoffte Auferstehung.

Brenner lebt. Besser gesagt: Er war nie tot. Wolf Haas hat zwar vor nunmehr sechs Jahren öffentlich verkündet, er wolle nie mehr, nie mehr wieder einen Brenner-Krimi schreiben, seinen Detektiv aber hat er damals keineswegs über den Jordan gehen lassen, wie viele Rezensenten, die den Roman "Das ewige Leben" wohl eher schlampig gelesen haben, fälschlicherweise postulierten. Nicht seinen Detektiv hat Wolf Haas im letzten Brenner-Krimi 2003 sterben lassen, sondern seinen mysteriösen Ich-Erzähler.

"Ja, das war lustig", erinnert sich Wolf Haas. "Als das Buch erschienen ist, haben einige Zeitungen geschrieben: Der Brenner ist tot. Das war vielleicht metaphorisch gemeint, er war ja dadurch tot, dass der Erzähler, der ihn erzeugt hat, tot war, aber ich hab auch den Verdacht, dass die Rezensenten einfach nicht bis zum Ende gelesen haben. Bei meinen öffentlichen Auftritten sind dann immer wieder Leser zu mir gekommen und haben ganz schüchtern gesagt, sie hätten in der Zeitung gelesen, der Brenner sei tot, aber sie hätten den Eindruck gehabt, er sei gar nicht gestorben. Also, hochoffiziell wiederhole ich: Der Brenner ist nie gestorben, der Erzähler ist gestorben im sechsten Brenner-Roman. Und irgendwann ist mir der schöne Satz aus der Umgangssprache in den Sinn gekommen: Wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen. Man sagt das, wenn jemand besonders viel redet. Und ich dachte mir: Sollte ich jemals wieder Lust haben, einen Brenner-Roman zu schreiben, dann fange ich einfach damit den neuen Roman an. Der Erzähler ist zwar tot, aber sein Maul habe ich zu erschlagen vergessen. Und das plappert munter weiter."

Und wie es plappert. Der neue Brenner-Krimi ist vielleicht noch lustiger, noch abgründiger und makaberer als die früheren Bände der Serie.

Brenner als "Personnel Driver"

Simon Brenner, so erfahren wir gleich zu Beginn, hat als Chauffeur und Bodyguard bei einem Münchner Baulöwen angeheuert. Brenners Job: die zweijährige Tochter des Beton-Tycoons zwischen München, Kitzbühel und Wien hin und her zu kutschieren. In Wien, so lässt das munter drauflos plappernde Erzähler-Ich uns wissen, betreibt die Mutter der Kleinen eine gutgehende Abtreibungsklinik, und wenn die gestressten Eltern einmal richtig gemütlich Familienleben spielen wollen, treffen sie sich alle drei in Kitz.

Helene, das Töchterchen, scheint unter den vielen Autofahrten nicht weiter zu leiden - versteht sich die Zweijährige doch bestens mit ihrem "Personal Driver". Auch Simon Brenner, der Chauffeur, ist ganz vernarrt in die Kleine. Umso größer ist seine Bestürzung, als Helene eines Tages auf einer Autobahn-Raststätte entführt wird, während er, der für das Kindeswohl Verantwortliche, einen schnellen Espresso im Tankstellen-Shop runterkippt.

Brenner dreht fast durch vor Verzweiflung, frage nicht. Wer kann die Kleine entführt haben? Da gibt's viele, zu viele Möglichkeiten. Der Vater ein stinkreicher Baumafioso, die Mutter eine erfolgreiche Medizinerin, der Abtreibungsgegner das Leben zur Hölle machen: Also, Feinde hätten die Eltern genug. Simon Brenner beginnt zu ermitteln, und wendet sich zuerst den militanten Abtreibungsgegnern zu.

"Mich hat das interessiert, diese Form der Drohung, dass dieser Oberabtreibungsgegner der Ärztin droht, wir werden dir dein Kind auch wegnehmen, weil du dem lieben Gott auch so viele Kinder wegnimmst. Das ist mir als so eine fiese Drohung erschienen, der ich einfach nachgehen wollte", so Haas.

Nekropole mit Alpenblick

Bald wird klar: Die Abtreibungsgegner stecken nicht hinter der Entführung. Dafür scheint der Papa der Kleinen eine Menge Dreck am Stecken zu haben. Zusammen mit einem korrupten Baubeamten und einem salbungsvollen katholischen Banker, offenbar aus dem Raiffeisen-Milieu, betreibt Helenes Vater ein sogenanntes "Stadtentwicklungsprojekt" im Wiener Prater - ein mehr als anrüchiges Geschäft. Genauso anrüchig wie die Senkgrube in der Kitzbüheler Almhütte des Baulöwen, in der im Lauf der rasanten Handlung eine Reihe von Leichen entsorgt werden.

Am Ende stehen sieben Tote, und Kitzbühel wird zur rustikalen Nekropole, zur Totenstadt mit Kuhglockengeläut und Alpenblick.

"Gegen Kitzbühel als Ort hab ich gar nichts", versichert Haas, "gegen Kitzbühel als Idee hab ich auch nichts, aber es ist ein sehr interessantes Szenario für einen Kriminalroman, wenn sich an einem Ort die Reichen eines Landes oder eines Kontinents treffen, unter dem Vorzeichen, sich die Natürlichkeit und Bäuerlichkeit eines Ortes anzueignen und dort ihre Millionen zu genießen. Das gibt einfach was her für einen Kriminalroman."

Umwege als Hauptwege

Wie schon in seinen früheren Büchern geht's Wolf Haas auch diesmal nicht so sehr um den Plot, es geht ihm vor allem um die Sprache. Auch sein jüngster Brenner-Krimi ist - wie die früheren - in einem originellen Kunst-Kauderwelsch geschrieben, in einem skurrilen, süchtig machenden Idiom, das sich eng rhythmisch eng an die gesprochene Sprache anlehnt.

Wolf Haas pflegt eine listige Form des Erzählens, bei dem sich die Umwege als die eigentlichen Hauptwege erweisen. Dabei geht's diesmal noch um einiges makaberer zur Sache als in früheren Haas-Büchern, des Autors Lust an fiktionalen Brutalitäten scheint nicht minder ausgeprägt als die an Sprachspiel und gepflegtem Wortwitz. Da spritzt das Blut, da schmurgeln Leichen in einem Meer aus Kot, da wird in der Senkgrube herumgegatscht, dass einem richtig schlecht wird beim Lesen. Warum so grauslich, Herr Haas?

"Warum ich's mach, hat, glaube ich, am ehesten darin seinen Grund, dass Humor dann am interessantesten ist, wenn er sich mit eigentlich traurigen Dingen befasst", meint Haas. "Wenn etwas nur lustig ist, dann ist es wahrscheinlich nicht mehr als ein dröger Schenkelklopfwitz."

Und darum kann es einem wie Wolf Haas natürlich nicht gehen. Dennoch, man unterhält sich prächtig bei der Lektüre seines neuen Romans, manchmal auch etwas unter seinem Niveau, aber das darf man wohl nicht so eng sehen. Feinziselierter, manchmal auch kunstvoll infantiler Sprachwitz und melancholische Gesellschaftskritik von hinterfotziger Gemeinheit verbinden sich in diesem 240-Seiten Werk zu einer unwiderstehlichen österreichischen Mischung.

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Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Wolf Haas, "Der Brenner und der liebe Gott", Hoffmann und Campe