Schwarz und Weiß
Die Parks von Palilula
Ein alternder Schriftsteller verliebt sich in ein kleines nigerianisches Mädchen. Wer da an Pädophilie denkt, liegt weit daneben. Frei von jeder Romantik schildert Ludwig Fels Versuche, aufeinander zuzugehen, aber auch die Grenzen der Verständigung.
8. April 2017, 21:58
Ein in Wien lebender und in die Jahre gekommener Schriftsteller lernt eine Afrikanerin kennen und kümmert sich um ihr Baby. Während sich die junge Mutter, ein nigerianischer Flüchtling, mit einem kleinen afrikanischen Shop über Wasser zu halten versucht, geht der alte Mann mit dem Kind durch die Vorstädte spazieren. In den Beserlparks zwischen serbischen Rotlichtlokalen, türkischen Marktständen und wachsendem Bobo-Viertel erobert die kleine Udoka sein Herz. Und verändert gründlich seine Wahrnehmungen und Prioritäten.
Was dahinter liegt, hinter dem Leben, dem Tod, der Ewigkeit (...) versucht man im Blick eines Kindes zu ergründen, wenn er ins Leere geht. Der Spielplatz mit den roten und blauen Plastikelefanten, der Wind in den Bäumen, der rauscht wie eine Brandung aus Nebel und Gischt, all das speist immer mehr den Wunsch, ihr Größeres zeigen zu dürfen.
Sinn im Leben
Der von seiner schriftstellerischen Arbeit ausgehöhlte Mann wird von einem Kind ins Leben zurückgeholt. Denn es stellt Sinn her. Ganz von selbst, durch seine bloße Existenz.
Die Liebe zu einem Kind heißt Widerstand zu leisten gegen die Sterblichkeit, heißt sein eigenes Dasein mehr oder weniger als Randerscheinung einer neuen Existenz zu begreifen. (...) Udoka zu erleben, wie sie sich die Dinge des Alltags aneignet, verzaubert von der winzigsten Entdeckung, macht einem bewusst, wie weit man sich vom Ursprung des Lebens entfernt hat. Ich bin glücklich und weine, ein neues Gefühl.
Wenn ein Schriftsteller liebt, wird das Objekt seiner Zuneigung gern auch Gegenstand seiner Literatur. Das hübsche afrikanische Mädchen wird in den Tagebucheintragungen des Ich-Erzählers stilisiert, ästhetisiert, wird zur Projektionsfläche, zu einer Art Muse.
Das Kind retten wollen
Das Kind ist es - das unbeschriebene Blatt -, für das sich der Schriftsteller erwärmt, nicht die Mutter, eine erwachsene, vom Existenzkampf gezeichnete Frau. Und dieses Kind will er retten, wissend, dass auch er durch das Kind gerettet wird. Auch in spiritueller Hinsicht, denn der Mann ist ein gläubiger Christ und Mitglied der baptistisch-evangelikalen Kephas-Gemeinde.
So kümmert er sich um Papiere und medizinische Versorgung, begleitet Mutter und Tochter zur Fremdenpolizei und zum Arbeitsamt, unterstützt sie bei Gerichtsverfahren und holt Udoka so oft er kann aus dem verrauchten Shop.
Im Shop ein paar junge Nigerianer bei Guinness und Musikvideos, die Lautstärke ohrenbetäubend. Und Udoka in all dem Krach und Lärm, wie hin und her geworfen in einer Brandung aus Qualm und Mief.
Alle Stadien der Liebe
Nicht immer ist die Unterstützung des alten Mannes willkommen. Wenn er das Kind nicht mitnehmen darf, leidet er. Wenn er mit ihm unterwegs ist, genießt er seine Gegenwart und fühlt, dass er etwas bewirken kann. Wenn auch nur auf unbestimmte Zeit. Letztlich bleibt er nur Besucher in einer von allen Seiten bedrohten Kindheit. Und das obwohl er alle Stadien der Liebe durchlebt: Inspiration, Hingabe, Eifersucht, Sehnsucht und die Angst vor dem Verlust.
Er ist hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis nach Nähe zu seiner afrikanischen Wahl-Familie und der Notwendigkeit, Distanz zu wahren gegenüber Problemen, die er nicht lösen kann. Dargestellt ist das in Tagebuchskizzen, die neben Schilderungen des geliebten Kindes auch Reflexionen über das Alter, den Tod, über Afrika und Gott sowie Erinnerungen, Gebete und imaginierte Dialoge mit dem Kind enthalten.
Illusionsloser Blick
Ludwig Fels beweist mit "Die Parks von Palilula" erneut sein Gespür für große zeitgenössische Themen. Er entwirft nicht nur das Psychogramm eines enttäuschten Schriftstellers, der am Ende seines Lebens in der Liebe zu einem Kind neuen Sinn findet, er bricht auch den Clash of Cultures auf jene Ebene herunter, auf der letztlich entschieden wird, mit welcher Wucht die Kulturen aufeinanderprallen: die individuelle. Frei von jeder Sozialromantik schildert Fels Versuche, aufeinander zuzugehen, aber auch die Grenzen der Verständigung. Der Blick seines Erzählers auf das Leben der afrikanischen Flüchtlinge ist ein illusionsloser.
Die Afrikaner, mit denen ich zu tun habe, sind eher Leute, die aus dem Krankenbett der Knechtschaft gefallen sind, herzlich, schutzlos – und knallhart auf ihre Vorteile bedacht: sie haben nicht viele, aber sie nehmen sie sich. Liebe ist ein weißes Wort.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Das Buch der Woche, Freitag, 18. September 2009, 16:55 Uhr
Ex libris, Sonntag, 20. September 2009, 18:15 Uhr
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Buch-Tipp
Ludwig Fels, "Die Parks von Palilula", Jung und Jung Verlag
Link
Jung und Jung - Ludwig Fels