Setzt sich Propaganda in den Köpfen fest?
Wühlen im Misthaufen der Geschichte
Von der Briefmarke zum Schulbuch, vom Freizeitsport zur Schaufensterdekoration - im kommunistischen Ostblock war auch das Alltagsleben von der Ideologie durchdrungen. Das "Institut für kulturresistente Güter" sammelt Beispiele von Alltagspropaganda.
8. April 2017, 21:58
Der Künstler Abbe Libansky über die Freiheit nach 1989
In totalitären Staatssystemen werden nicht nur Medien, öffentliche Kundgebungen oder Kultur für Zwecke der Propaganda genutzt - die Ideologisierung des Lebens spiegelt sich auch in scheinbar banalen Alltagsgegenständen wider.
Mit kommunistischer Alltagspropaganda in der Tschechoslowakei beschäftigt sich das "Institut für kulturresistente Güter": im Tschechischen Zentrum in Wien wurde nun eine Installation aus Polit-Ramsch errichtet. Politiker-Portraits, Partei-Abzeichen und Dutzende Bände der Marx-Engels-Gesamtausgabe stapeln sich da ebenso wie Zündholzschachteln, Haushaltsgeräte, Briefmarken oder künstlerischer Zierrat.
Hierarchie des Schaumweins
Abbé Libansky, in Wien lebender Künstler tschechischer Herkunft, zeigt auf eine verwitterte, ungeöffnete Sektflasche: "Das ist ein originaler, sowjetischer Schaumwein namens Igristoe, der wie Champagner konsumiert wurde, also nur bei ganz speziellen Anlässen. Anders als der tschechische Bohemia Sekt, war diese Marke teurer und galt als besonders exquisit", erklärt Libansky.
Andere Objekte der Installation "Misthaufen der Geschichte?" sind etwa ein kanonenförmiger Diaprojektor für Kinder, oder eine 16mm-Filmkamera, die am Beginn jeder Tagesschau eingeblendet wurde - für jede, die in der Tschechoslowakei gelebt hat, ein wiedererkennbares Emblem der Fernsehnachrichten.
Kunstdrucke für alle
Libansky hat ein umfangreiches Archiv an Alltagsobjekten der CSSR angelegt. Fündig wurde er dabei auf Flohmärkten, sowie in Lagerräumen und auf Dachböden ehemaliger kommunistischer Amtsgebäude, in Kulturzentren oder Schulen.
Am Beginn seiner Sammlung stand ein großer Fund auf einer Müllhalde: rund zwanzig gerahmte Kunstdrucke, die zum Beispiel Lenin bei einer feurigen Ansprache oder eine Versammlung von Fabriksarbeitern darstellen, fischte Libansky aus dem Müll. Diese Propaganda-Bilder im Stil des sozialistischen Realismus wurden zwischen 1917 und 1972 - mit keinerlei ästhetischen Veränderungen - in der Sowjetunion produziert und in die kommunistischen Länder Europas exportiert.
Gefährliche Propaganda
Als er die Bilder sah, stellte Abbé Libansky mit Schrecken fest, dass er die Motive und Titel immer noch auswendig kennt: "Ich hatte diese Bilder bestimmt zehntausende Male gesehen, ohne dass sie mir jemals erklärt wurden oder ich die Titel lernen musste. Dass ich das ungewollt in meinem Gedächtnis gespeichert hatte, brachte mich auf den Gedanken, dieses Phänomen zu thematisieren: dass Propaganda, welcher Ideologie auch immer, gefährlich ist, weil sie sich in den Köpfen festsetzt."
Schaufenster und Hundeausstellung
Keine Hundeausstellung konnte unter den Kommunisten stattfinden, ohne dass sie als Manifestation der großartigen, strahlenden Zukunft kommuniziert wurde; kein Schaufenster konnte ohne propagandistische Aussagen dekoriert werden.
Selbst wenn die materiellen Überbleibsel des Kommunismus in Osteuropa entsorgt sind - die Botschaften klingen nach, meint Abbé Libansky: "Nicht nur in Tschechien gewinnen die Kommunisten immer mehr an Macht und Einfluss, wie die politische Parteienlandschaft zeigt. Die Alltagsgegenstände mögen alt und dreckig sein, aber mit den Idealen, die sie vermitteln, mit der 'guten alten Zeit', werden Wählerstimmen lukriert."
Hör-Tipp
Leporello, Dienstag 22. September 2009, 07:52 Uhr
Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung "Misthaufen der Geschichte?", Tschechisches Zentrum Wien, Herrengasse 17, 1010 Wien, noch bis 29. Oktober 2009
Link
Tschechisches Zentrum Wien
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- Wendejahr 1989