Die internationale Pharmaindustrie in Südafrika

Durch Armut zum Versuchskaninchen

Bevor neue Medikamente in die Apotheke kommen, müssen sie zugelassen werden. Dafür müssen die Hersteller die Wirkstoffe genau testen. Immer öfter werden diese Studien in armen Ländern durchgeführt. Die Forschungsethik bleibt dabei leicht auf der Strecke.

Bevor ein neues Medikament auf den Markt kommt, muss es getestet werden. Das heißt, es durchläuft rigorose klinische Studien, um seine Wirkung zu dokumentieren und inakzeptable Nebenwirkungen auszuschließen. Erst dann wird es von Kontrollbehörden zugelassen und ist in Apotheken erhältlich.

Das Problem: Freiwillige Probanden für Medikamententests sind in Europa und Amerika immer schwerer aufzutreiben. Gleichzeitig wächst die Zahl der Studien. Das hat dazu geführt, dass eine wachsende Zahl klinischer Versuche an Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern durchgeführt wird. In Indien etwa, Russland, Brasilien, China und Südafrika.

Die interessanten Krankheiten der Armen

An der Südspitze Afrikas sind Medikamententests deutlich billiger zu realisieren; gleichzeitig gibt es eine gute Infrastruktur und genügend gut ausgebildete, englischsprachige Ärzte. Vor allem aber kann Südafrika mit Millionen williger Testpersonen aufwarten.

Viele von ihnen sind arm, leiden unter einem breiten Spektrum von für die Pharmaunternehmen interessanten Krankheiten und sind medizinisch unterversorgt. Wer Südafrikas Arme für einen Medikamentenversuch gewinnen will, der braucht nicht viel Überredungskunst. Viele sind bereits dankbar, das erste Mal in ihrem Leben einer gründlichen Gesundheitskontrolle unterzogen zu werden.

Die Versuchsmedikamente selbst sind kostenlos, und dazu locken die Studien mit "Aufwandsentschädigungen" in Form von Geld oder Lebensmittelgutscheinen. Für die Ärmsten der Armen lohnt es sich, ihre Körper für Tests zur Verfügung zu stellen. Das damit einhergehende Risiko ist ihnen oft nicht bewusst.

Ethische Vorgaben aufgeweicht

Während niemand bestreitet, dass etwa Studien zu HIV-Impfstoffen oder Tuberkulose-Medikamenten in Südafrika sinnvoll und notwendig sind, tragen viele der tatsächlich durchgeführten Versuche weniger den längerfristigen Interessen der Probanden und Probandinnen Rechnung als der Entwicklung der Absatzmärkte in westlichen Industrieländern. Was zählt, sind die künftigen Gewinne der pharmazeutischen Industrie.

Beim Run auf die nächste Blockbuster-Pille ist Zeit Geld, denn Pharmaunternehmen lassen neue Medikamente durch Patente schützen. Ihr Ziel ist es, den Entwicklungsprozess möglichst schnell zu durchlaufen, um ihren Investitionen so bald wie möglich Gewinne folgen zu lassen.

Im vergangenen Jahr hat die amerikanische Kontrollbehörde FDA ihre ethischen Vorgaben für klinische Studien im Ausland noch einmal aufgeweicht - das betrifft besonders die Gabe von Placebos und eine Fortsetzung der Behandlung nach Ende der Studie. Bioethiker betrachten diese Entwicklung mit Sorge. Besonders in Ländern ohne starke und unabhängige Ethik-Kommissionen könnte diese Entwicklung fragwürdigen Studien Tür und Tor öffnen.

Medikamententests als Einkommensquelle

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die meisten der von der FDA in der jüngeren Vergangenheit zugelassenen Medikamente sind so genannte Me-too-Präparate. "Me too"'s kommen auf den Markt, wenn ein Pharmakonzern einem anderen Pharmakonzern den Absatzmarkt für ein besonders erfolgreiches Medikament streitig machen will.

Der Molekülaufbau des Nachahmer-Medikaments ist dem des Originals ähnlich, die Wirkung ist mehr oder weniger dieselbe. Mancher Ethiker argumentiert, dass Versuche wie diese oder reine Marketingstudien mit geringem oder gar keinem wissenschaftlichen und sozialen Wert, nicht an armen Menschen in Entwicklungsländern durchgeführt werden sollten.

Doch längst sind sie dort zu einer wichtigen Einkommensquelle geworden - für Universitäten, Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte. Und so profitieren alle Seiten von dem System. Das Risiko tragen dabei die Probanden und Probandinnen - die oft genug damit leben müssen, dass viele der an ihnen getesteten Produkte für sie unerreichbar bleiben, weil sie nach der Markteinführung schlicht zu teuer sind.

Kritiker und Kritikerinnen argumentieren, dass dieses System global gesehen ungerecht ist. Dass Testpersonen in armen Ländern ein unverhältnismäßig hohes Risiko tragen und am Ende des Forschungsprozesses mit leeren Händen dastehen. Doch es ist das System der kommerziellen Medikamentenentwicklung selbst, das diese Dynamiken hervorbringt. Solange sich daran nichts ändert, ist Afrika um einen Wachstumsmarkt reicher: klinische Tests an armen Menschen.

Hör-Tipp
Journal Panorama, Montag, 21. September, 18:25 Uhr