Wenn Glück von der Kleidergröße abhängt

Das falsche Spiegelbild

Selbst normalgewichtige Menschen - meist Frauen - fühlen sich immer öfter zu dick. Der eiserne Wille, schlank zu sein bringt nicht immer Gesundheit mit sich. Sehr leicht gerät der Abnehmeifer außer Kontrolle und führt zu jahrelangem Leiden.

Frauen über den Schlankheitswahn

"Spieglein, Spieglein an der Wand: Wer ist die Schönste im ganzen Land?" hieß es schon bei Schneewittchen. Heute sind es die Spiegel in den Umkleidekabinen der Kaufhäuser, die unerbittlich darauf Antwort geben.

Kleidergröße als intimes Geheimnis

Neue Jeans zu kaufen ist vor allem für Frauen kein leichtes Unterfangen. Das bockige Material wirkt eigentlich auf sanft gerundeten Frauenkörpern eher unvorteilhaft. Der Hintern erscheint noch größer als er ist, die aufgesetzten Taschen tragen zusätzlich auf.

Die meisten erwachsenen Frauen haben keine Männerkörper mit kleinem Po und drahtigen Beinen. Hüften sind von Natur aus vorgesehen. Spätestens nach der fünften Hose die nicht passt, schleicht sich der Gedanke ein, dass man vielleicht zu dick dafür ist. Mitten im Geschäft, von anderen Kundinnen und Verkäuferinnen mitleidig beäugt, steht man vor dem riesigen Spiegel und muss vor Publikum die eigene Kleidergröße preisgeben.

Der chronische Wunsch, abzunehmen

Daniela El Raschidi ist beruflich selbstständig und handelt mit Lederwaren. Die 41jährige Mutter von drei Kindern ist eine Frau mit normalen weiblichen Rundungen. Kleidergrößen beeindrucken sie heute nicht mehr, sagt sie. Früher habe sie sich schon manchmal Kleider gekauft, die etwas zu klein waren, um besser auszusehen. Als sie jünger war, wollte sie immer abnehmen.

In Österreich sind laut Statistik Austria 2,6 Prozent der Bevölkerung untergewichtig. Die Hälfte der Bevölkerung ist normalgewichtig. Der Rest - etwa 47,4 Prozent ist übergewichtig bis adipös. Der sogenannte Body Mass Index (BMI) ergibt sich aus dem Körpergewicht in Kilogramm zum Quadrat dividiert durch die Körpergröße in Metern. Laut Definition der WHO ist ein BMI zwischen 18, 5 und 25 als normal anzusehen. Untergewicht wird weitaus häufiger bei jungen Frauen diagnostiziert: Bei den unter dreißig jährigen Frauen ist jede zehnte zu dünn.

Schlanksein als Statussymbol

Die Selbsteinschätzung des eigenen Körperbildes stimmt oft mit der Realität nicht überein. Meistens sind es Frauen, die sich öfter zu dick fühlen, obwohl das nicht stimmt. Schlankheit wird zunehmend als Statussymbol angesehen. Berühmte Mütter übertrumpfen sich darin, nach der Geburt ihrer Promikinder wieder dünn wie ein Zahnstocher zu sein. Sie streben danach, keinesfalls molliger zu sein als vierzehnjährige Mädchen.

Ist unser Körper zum Avatar geworden, den es zu formen gilt, den wir im Zaum halten müssen, weil er uns sonst mit seinen profanen Bedürfnissen von unseren immer höher gesteckten Lebenszielen abhält?

Vorbild Magermodel?

Abnehm- und Schlankheitsstreben kann leicht krankhaft werden. Elisabeth - sie will nur mit geändertem Vornamen genannt werden - leidet seit 16 Jahren an Magersucht und Bulimie. Sie ist 28 Jahre alt. Ihr Körper ist so dünn wie der eines zehnjährigen Mädchens, während sie so groß ist wie eine erwachsene Frau. Sie kann ihre Oberarme mit den eigenen Händen komplett umfassen. Dennoch fühlt sie sich zu dick.

Ab einem gewissen Untergewicht ist die eigene Körperwahrnehmung völlig gestört. Selbst wenn sie vor dem Spiegel neben einer Frau mit normalem Ausmaß steht, sieht sie an sich selbst Speckfalten, wo keine sind. Es fiele ihr schwer, auch nur einige Kilos zuzunehmen, erzählt sie.

Die Psychotherapeutin Rahel Jahoda behandelt für den Verein Intakt Menschen mit Essstörungen. Es sind mehrere Einflussfaktoren, die zu einer ernsthaften Selbstwahrnehmungsstörung führen. Von ein bisschen Abnehmen kommt es nicht gleich zu einer krankhaften Essstörung. Auch Magermodels, dürre Schauspielerinnen oder hungernde Prominente können allenfalls Auslöser sein, so die Psychologin.

Magersucht als "weißes" Phänomen

Dennoch: Für Frauen ist der Druck, um jeden Preis schlank sein zu müssen, ungleich höher. Eine britische Studie, veröffentlicht 2009 von der BMC public health, zeigt auf, dass bereits Mädchen nur mit einem schlanken Körper zufrieden sind, während Buben muskulös und sportlich sein wollen. Die Studie zeigte weiters, dass Kinder aus sozial besser gestellten Schichten eher mit ihrem Körper zufrieden waren.

Magersucht ist der letzte Schritt einer gesellschaftlichen Entwicklung, sagt Rahel Jahoda. Es sind hauptsächlich weiße Frauen davon betroffen. Die Krankheit sei Ausdruck dafür, wie unsere Gesellschaft mit Frauen umgeht. "Es ist nicht unbedingt leichter geworden, jetzt haben Frauen die Doppelbelastung. Sie sind nach wie vor in vielem benachteiligt. Manchmal ist die Krankheit auch eine Ablehnung gegen das gängige Rollenbild der Frau", so die Psychotherapeutin.

Hör-Tipp
Moment, Dienstag, 22. September 2009, 17:09 Uhr

Link
Intakt - Therapiezentrum für Menschen mit Essstörungen