Spielen, als wär's das letzte Mal

Paris / London. Testament

Sein "Kölner Konzert" fehlte in kaum einem Kassettenrecorder. Seither kultivierte er seinen einzigartigen Klavier- (und Gesangs-)Stil in weiteren Aufnahmen. Dieser Tage veröffentlicht sein Label ECM ein neues Soloalbum von Keith Jarrett.

Ausschnitt aus "Paris / London"

"Testament" dokumentiert keineswegs Jarretts erstes improvisiertes Konzert seit dem 24. Jänner 1975 in Köln. Aber es scheint, auch für Jarrett, ungewöhnlich umfangreich und gewichtig: drei CDs und dazu ein Name, der Vermächtnis, Zeugenschaft oder das biblische Testament bedeuten kann. Es wirkt tatsächlich wie ein Bekenntnis, was Keith Jarrett im Booklet schreibt: über die Entstehung der Aufnahmen in Paris und London inmitten einer tiefen persönlichen Krise - seine Frau Rose Anne hatte ihn nach 30 Jahren verlassen.

"Play like it's the last time", habe er seinen Schülern immer gesagt, jetzt galt es für ihn: Wenn er aufgab, würde es für immer sein. Die Entscheidung zum Weitermachen fiel mit den hier veröffentlichten Konzerten in Paris und London, mit der begeisterten Aufnahme und Unterstützung, die Keith Jarrett von Seiten des Publikums erfuhr, mit seiner eigenen Entscheidung, den Faden nicht loszulassen.

Was nirgends geschrieben steht

Wer kann und will angesichts solch existenzieller Dinge beckmessern. Sicher, nicht an allen Stellen der drei CDs knistert es vor Spannung so wie seinerzeit im Kölner Konzert (oder lag das nur an der abgespielten Schallplatte?). Das wäre auch viel verlangt. Doch unverändert ist ein Künstler zu erleben, der sein eigenes Genre geschaffen und im Lauf der Jahrzehnte weiterentwickelt hat: Aus dem Nichts heraus, in der Inspiration des Augenblicks, ein musikalisches Universum zu bauen.

Die Architektur ist kleinteiliger geworden, die Blöcke überschaubarer. Aber weiterhin überspannen die Bögen mühelos das Stundenmaß, manchmal wuchtig, manchmal federleicht schwingend, die Grenzen zwischen Jazz und klassischer Musik weit unter sich lassend. Auch darüber schreibt Keith Jarrett im Beiheft: Wie er als Kind von sechs oder sieben Jahren über Mozart, Schubert, Chopin und Debussy improvisierte - und dann seine Mutter beruhigte: Im Konzert würde er alles genau so spielen, wie es notiert war. Fast sechs Jahrzehnte später spielt Keith Jarrett für alle, die sich darauf einlassen mögen, was nirgends sonst geschrieben steht.

Hör-Tipp
Spielräume, Donnerstag, 1. Oktober 2009, 17:30 Uhr

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ECM - Keith Jarrett

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