Die Rolle des Geruchsinn
Immer der Nase nach
Wer atmet, der riecht. Wenn auch oft unbewusst, gelangt mit jedem Atemzug eine Melange aus Tausenden von Duftmolekülen in die Nase - eine chemische Antenne für Mensch und Tier. Auch im Leben der Menschen spielt der Geruchssinn eine tragende Rolle.
8. April 2017, 21:58
Zu der Zeit, von der wir reden, herrschte in den Städten ein für uns moderne Menschen kaum vorstellbarer Gestank. Denn der zersetzenden Aktivität der Bakterien war im achtzehnten Jahrhundert noch keine Grenze gesetzt, und so gab es keine menschliche Tätigkeit, die nicht von Gestank begleitet gewesen wäre.
Der Autor Patrick Süskind hat Teile der Handlung seines Romans "Das Parfum" in der südfranzösischen Kleinstadt Grasse angesiedelt. Und das nicht ohne Grund: Grasse gilt seit Jahrhunderten als eine Stadt der Wohlgerüche.
In Grasse werden besonders die Nasen der Besucher umschmeichelt, sei es im 2008 wiedereröffneten Parfum-Museum oder bei den traditionellen Parfumherstellern, wo sich Besucher eigene Parfums zusammenmischen können. Die Firma Fragonard hat sich etwas Besonderes einfallen lassen: In einer limitierten Auflage von 1000 Stück wurde 1995 ein eigenes Parfum zu Patrick’ Süskinds Roman kreiert. Dass diese Parfumkreation allerdings so erfolgreich ist, wie seinerzeit Chanel N°5, darf angezweifelt werden.
Echt Kölnisch Wasser
Zu Weltruhm gelangte jedenfalls auch ein Wunderwasser aus Köln oder „aqua mirabilis“, wie es damals genannt wurde. Der Name des Wunderwassers: 4711, benannt nach jener durchlaufenden Nummerierung, die das Haus in der Glockengasse während der französischen Besatzung Ende des 17. Jahrhunderts erhalten hatte.
Auch Johann Wolfgang von Goethe wusste das Elixier zu schätzen. In einem Brief an den Maler Hofman schrieb er aus Weimar:
Bei dieser Gelegenheit wollte ich Sie ersuchen, mir ein Kästchen mit sechs Gläsern Eau de Cologne zu überschicken. Es ist dieses wohlwirkende Wasser seit den Verwirrungen der Zeit schwerlich nur zu haben.
Toleranz der eigenen Nase
Auf ganz andere Düfte steht die norwegische Geruchsforscherin Sissel Tolaas, wie etwa Hundkacke, Katzenurin und der Schweiß von Phobikern. Begonnen hat die Exzentrikerin ihre Expedition in die Welt der Gerüche vor rund zwei Jahrzehnten, als sie auf ihren Reisen rund um den Globus fast alles sammelte, was ihr vor die Nase kam, egal ob es Kamelmist war, Kaffeesud oder Sand. Heute besitzt die Norwegerin eine Sammlung von 7.800 Geruchsproben aus aller Welt.
In einer hellen Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg hat Sissel Tolaas ihr geräumiges Labor eingerichtet. In dieser Werkstatt mit Metallregalen und Hunderten fein säuberlich beschrifteter Glasflakons tüftelt die Chemikerin tagelang an ausgefeilten Geruchsbildern.
Erst kürzlich hat sie in einem Workshop mit 15 Schülern gearbeitet, erzählt Sissel Tolaas. Diese seien nicht imstande gewesen, die Gerüche unterschiedlicher Zitrusfrüchte auseinander zu halten. Die Reaktionen der Schulkinder auf die harten realitätsnahen Gerüche aus ihrem Umfeld haben sie allerdings zum Staunen gebracht. Ihr Credo: "Toleranz fängt mit der Nase an: Du kannst Hautfarbe, Religion, alles irgendwie tolerieren, aber wenn man einander nicht riechen kann, hört's auf."
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 5. Oktober bis Donnerstag, 8. Oktober 2009