Wenn Autos Zahnschmerzen haben

Spucken und stottern

Autos verhalten sich zu Automechanikern oft wie Zahnschmerzen zum Zahnarzt: Wenn man dort ist, tut gar nichts mehr weh beziehungsweise funktioniert alles tadellos. Die kleine Ginetta macht da keine Ausnahme, wie ich unlängst feststellen konnte.

Selbst schuld: Unlängst funktionierte der Scheibenwischer nicht. Ich musste in England anrufen, um herauszufinden, wo die Sicherungen versteckt sind. Sehr raffiniert übrigens und ganz in Fahrernähe. Die Verkleidung ist mit Klettverschlüssen befestigt... Ja es ist die Rede von einem kleinen englischen Sportcoupé, Jahrgang 2001, aber fast unverändert gebaut seit den 1960er Jahren. Die vier Walklett-Brüder hatten mit ihrem vierten Modell Ginetta G4 1961 einen Überraschungserfolg bei der Londoner Rennwagenausstellung.

Autos zum Zusammenbauen

Die Ginetta war auch als Bausatz erhältlich - damals wurden übrigens auch Lotus-Fahrzeuge für den Selbstzusammenbau angeboten und man war selbst schuld, wenn das Finish nicht den eigenen Anforderungen entsprach.

Das erste G4-Modell hatte noch Andeutungen von Heckflossen, ein Tribut an die Zeit, ähnlich wie die Klappscheinwerfer, die in den 1970er Jahren die klassische Form des kleinen Sportwagens entwerteten. Dazwischen und danach aber macht das Auto Menschen Freude. So klein und niedrig... Größere Menschen kriegen ihre Beine nicht unter dem kleinen Lenkrad durch. Deshalb sind Kinder und Jugendliche oft begeistert: Graham, der 14-jährige Sohn von Freunden aus Kanada hält eine Mitfahrrunde in der Ginetta für das Highlight des Europaurlaubs - die Familie war nicht nur in Österreich, um Wien und Verwandte zu treffen sondern auch in der "ewigen Stadt", nur um die Verhältnisse klar zu stellen.

Stehzeug

Aber kommen wir zurück zu den Freuden, die mit dem Scheibenwischerdefekt nur kurz angerissen waren. Gina macht nämlich "Manderln". Schon nach eineinhalb Testrunden am ÖAMTC-Gelände Wachauring fiel mir ein Geräusch auf: Ginetta klang im Leerlauf, als wären nur drei Zylinder aktiv und der vierte würde nur mitgeschleppt. Aber etwas Gas gegeben, ein Stück gefahren und alles schien wieder im Lot. Ab und zu ein kurzer Stotterer, sonst nichts. Als jahrelanger geprüfter Oldtimerfahrer dachte ich mir nicht viel dabei, kleines Zündproblem, geht mitunter schnell vorüber.

Allerdings kamen die Schwierigkeiten wieder. Habe Schwiegermutter das Auto gezeigt, wollte eine Runde fahren, Ginetta sprang kaum an, starb ab, lief wieder stotternd. Um die nächste Ecke wollte Ginetta die Schwiegermutter nicht mehr bringen. Ein Fahrradfahrer hielt an, half mir beim Schieben. Und er hielt es kaum für möglich, dass Gina wieder anspringt, aber ja, sie tat es. Nach zwei weiteren Ecken standen wir wieder. Und stotterten schließlich zu einem Parkplatz. Die reizende Schwiegermutter spricht nun davon, dass man trotz der niederen Sitzposition sehr viel von der Welt sehe, eingestiegen ist sie wie eine Jugendliche, und offenbar hat sie auch das entsprechende verständnisvolle Herz, denn dass das Auto kaum gefahren ist fand sie nicht weiter erwähnenswert.

Beim Fahrzeug-Zahnarzt

Am nächsten Tag: auf zum Mechaniker meines Vertrauens. Er hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder unter meinen Spleens gelitten und nur sehr fair kassiert. Problem besprochen, Auto gezeigt, Alarmanlage präsentiert und da wurde Georg stutzig: "Vielleicht spinnt die elektronische Wegfahrsperre". Ja vielleicht, und ich probierte das Auto aus, versuchte den Fehler zu provozieren. Es war wie bei einem Zahnarztbesuch: die Schmerzen wie weggeblasen, Ginetta nahm die Berge im Flug, stotterte nicht beim Bergabfahren. Perfekt.

Ich nahm sie mit nach Hause. Der Unterschied zum Zahnarzt: Der Zahnarzt/die Zahnärztin hat Röntgen, sieht meistens jeden Entzündungsherd, auch wenn es nicht weh tut. (Meine Zahnärztin übrigens hatte einmal ein Softwareproblem mit dem Röntgen, als ich Höllenschmerzen hatte, vertraute ihrer Erfahrung und meinen Empfindungen und behandelte völlig richtig die kaputte Wurzel.)

Der Vergleich hinkt allerdings, denn Ginettas Traumperformance war nur von kurzer Dauer: Startversuch gelingt halbwegs, stottern, ich gebe Gas, Schulkinder und Mütter stehen vor dem Schultor, mir ist der Lärm furchtbar peinlich, flüchte um die Ecke in eine Einbahn, an der Feuerwache vorbei. Hier wäre ein Scheitern fast kriminell, 50 Meter weiter - Ginetta rollt nur mehr, bleibe vor Garageneinfahrt stehen. Vergebliche Startversuche, Passanten helfen mir bei der Suche nach Kerzenschlüssel. Vielleicht ist es doch nicht die Wegfahrsperre, vielleicht sind ja schlicht die Kerzen verölt oder gar kaputt. Noch immer stehe ich vor der Garage. Schulkinder kommen vorbei, erfreuen sich des Autos "Der ist ja kleiner als ich"... Immerhin gegenüber im Halteverbot wird ein Platz frei. Ich schiebe und erhalte eine Atempause. Erst morgen Früh bin ich illegal...

PS: Konnte Ginetta noch rechtzeitig auf einen "richtigen" Parkplatz schieben.

Links
Ginetta Heritage
Motorracing Archive - Annual Racing Car Show