Warum Menschen nicht eingreifen

Helfen statt Wegschauen

Jemand wird in der U-Bahn oder auf der Straße lauthals beschimpft oder geschlagen. Die Menschen rundherum erstarren und tun gar nichts. Wie kann man in solche Situationen intelligent eingreifen und den Betroffenen helfen, ohne selbst Opfer zu werden?

Günther Berghofer, Polizeikommandant in Floridsdorf

Jemand wird in der U-Bahn oder auf der Straße lauthals beschimpft, oder vielleicht sogar geschlagen. Immer wieder erstarren die Menschen kollektiv, die so einen Vorfall beobachten, und tun nichts. Oft wird nicht einmal die Polizei gerufen. Warum werden Menschenmassen zu passiven Zuschauern anstatt zu aktiven Helfern? Wie kann man in solche Situationen intelligent eingreifen und den Betroffenen helfen?

Verantwortung abschieben

In der Psychologie und Soziologie spricht man vom non-helping-bystander-effect, oder auf Deutsch: dem Zuschauereffekt. Der Polizeipsychologe Markus Wirtenberger erklärt: "Je mehr Menschen anwesend sind, desto geringer ist die Bereitschaft etwas zu tun". Weil so viele andere auch anwesend sind, ist man nicht bereit die Verantwortung zu übernehmen und zu handeln.

Unter Schock stehen

Ein zweiter Grund ist: Auch wenn man Gewalt "nur beobachtet" versetzt das viele Menschen in Angst. So sehr, dass sie die Situation völlig falsch wahrnehmen und beurteilen. Sie sind unfähig zu denken, geschweige denn zu handeln.

Was bringt mir das, wenn ich helfe?

Aber nicht bei jedem öffentlichen Konflikt sind alle Beobachter gelähmt vor Angst, können die Wirklichkeit nicht mehr beurteilen und sind unfähig Verantwortung zu übernehmen und trotzdem wird nicht geholfen. Der Polizist und Ausbildner Günther Berghofer erklärt: "Jeder macht eine Abwägung, eine Kostenfrage: Was bringt mir das, wenn ich da bleibe? Was habe ich für Einbußen, für Verluste? Was gewinne ich davon auch?"

Kein Patentrezept, aber viele Möglichkeiten

Das Problem, sagt die Zivilcourage-Trainerin Susanne Bali, ist: Die Menschen glauben, das Einzige, was sie tun können ist, sich wie ein Held zwischen Täter und Opfer zu werfen. Die meisten Menschen fühlen sich aber nicht wie Helden und trauen sich das nicht.

Wer sich zwischen Täter und Opfer stellt, läuft Gefahr die Aggression ab zu bekommen. Ruhig bleiben, ist die Devise, und andere mit ins Boot holen, sich zusammen schließen. Einer allein kann wenig ausrichten. Je mehr Leute sich für den Konflikt interessieren, desto besser, betonen Polizisten und Psychologen.

Verwirrung stiften

Statt in den Kampfring zu treten, soll man Verwirrung stiften. "Singen Sie eine Arie, fragen sie nach der Uhrzeit oder nach dem Weg, immer wieder", sagt Susanne Bali. Sie trainiert Menschen in Zivilcourage und erzählt von einem Vorfall: Einmal hat eine Frau beobachtet, wie vier Glatzköpfe ein Mädchen mit Kopftuch in der U-Bahn beschimpft und angerempelt haben. Sie hat sich auf den Boden fallen lassen, einen epileptischen Anfall vorgetäuscht und wild gezuckt und gespuckt. Binnen kürzester Zeit waren die Täter aus dem Konzept, wussten nicht mehr, was sie tun sollten und sind geflohen.

Jeder kann helfen, sagt Susanne Bali, man muss nur nach den Möglichkeiten suchen, die man sich selber zu traut. Alles ist besser als zu Schweigen und Nichts zu tun. Man kann den Vorfall beobachten, ein Handyfoto machen, die Polizei rufen oder sich als Zeuge zu Verfügung stellen.

Wenn einem niemand geholfen hat

Es ist schlimm genug, wird man grundlos beschimpft oder vielleicht sogar zusammengeschlagen. Noch schlimmer ist es, wenn einem das unter Anwesenheit vieler Menschen passiert, und niemand greift ein und hilft.

Oft betrifft das Menschen mit schwarzer Hautfarbe oder Frauen mit Kopftüchern, die mit fremdenfeindlichen Angriffen konfrontiert werden, so wie dem Netzwerktechniker Ade Olowu oder der Kindergärtnerin Aysun Günes. Aber auch der gebürtige Österreicher Jürgen Hammerschmid wurde zwei Mal im öffentlichen Raum niedergeschlagen, ohne dass ihm jemand dabei zu Hilfe kam.

Hilflos, wütend, verängstigt

Im ersten Moment, sagt Jürgen Hammerschmid, war er wahnsinnig wütend. Wütend auf seine Umgebung, wütend auf die Täter. "Man kommt nach Hause und wenn man das realisiert, dann fühlt man sich so wahnsinnig hilflos."

Es dauert, um einen solches Erlebnis zu verarbeiten. Die Angst begleitet einen. Ade Olowu fährt nicht mehr alleine mit der U-Bahn. Jürgen Hammerschmid behält seine Umgebung im Auge. Die Eltern von Aysun Günes rufen sie beunruhigt an, wenn sie nicht pünktlich von der Schule nach Hause angekommen ist.

Hilfe für Opfer

Alexander Knoll von der Opferhilfe des weissen Rings erzählt von den Flash Backs, die Opfer in Situationen bekommen, die nur annähernde Ähnlichkeit mit ihrem Gewalt-Erlebnis haben. Damit man die Angst wieder aus dem Kopf bekommt und sich wohl fühlen kann, braucht es Zeit und Menschen, die einem zuhören. Der weisse Ring bietet Opfern rechtliche und psychologische Unterstützung. Er hilft bei bürokratischen, organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten, die durch ein Gewaltverbrechen entstanden sind.

Hör-Tipp
Moment, Dienstag, 6. Oktober und Mittwoch, 7. Oktober 2009, 17:09 Uhr

Buch-Tipp
Prof. Dr. Gerd Meyer, "Lebendige Demokratie: Zivilcourage und Mut im Alltag", Nomos Verlag

Tipps
Trainings und Workshops für Zivilcourage
Kontakt: Mag.a Gertraud Kücher
Email: training@zara.or.at

Kostenloser Opfernotruf: 0800 112 112

Links
ZARA - Verein für Zivilcourage und Antirassismusarbeit
Weißer Ring - Die Kriminalitätsoperhilfe
Opfer-Notruf