Über die Niederlage

Tokio im Jahr Null

Der dritte Teil von David Peaces Tokio-Trilogie ist natürlich wieder ein Krimi. Wer der Mörder ist, spielt bei Peace keine große Rolle, vielmehr interessiert ihn, wie Mordserien eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort widerspiegeln.

Im Grund genommen hat sich bei David Peace kaum etwas verändert. Auch im neuen Roman geht es wieder um eine Mordserie. Der japanische Detektiv Minami findet die Leiche eines jungen Mädchens. Ein vermeintlicher Täter wird verhaftet und von der Polizei gleich an Ort und Stelle getötet. Doch ein Jahr später tauchen erneut zwei Mädchenleichen auf. Beide genauso grausam ermordet wie die erste Frau.

Bei "Tokio im Jahr Null" liefen alle Bücher, die er bis jetzt geschrieben habe, zusammen, sagt David Peace. Und jetzt sei er an einem Endpunkt angelangt. Die wahre Herausforderung bestehe nun darin, den zweiten Teil der Tokio Trilogie zu schreiben, ohne sich zu wiederholen.

Die Katastrophe schlechthin

Wer der Mörder ist, das spielt bei David Peace keine große Rolle. Viel mehr interessiert ihn, wie ein Verbrechen die Umwelt verändert - und wie Mordserien eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort widerspiegeln.

"Tokio im Jahr Null" beginnt am 15. August 1945 mit der Übertragung der Rede des japanischen Kaisers. Zum ersten Mal hören die Untertanen die Stimme des Gott-Kaisers. Und was er zu sagen hat, ist die Katastrophe schlechthin. Er erklärt die Kapitulation. Das Ende des Krieges ist das Ende der Welt.

Säuberungen und Reformen

Der Mörder der Mädchen ist schnell gefunden. Und Kodaira Yoshio gesteht die Morde sogar. Die Aufgabe der Polizisten besteht darin, andere Opfer zu finden. In einer Gesellschaft, die sich auflöst, in der alle nur danach trachten, etwas zu essen zu finden und den Tag zu überleben, kein leichtes Unterfangen. Nichts ist, wie es scheint in diesem Roman. Immer wieder wird die Polizei von neuen Säuberungsaktionen gelähmt, von Säuberungen und Reformen; die Kommissare verändern ihre Namen, Inspektor Minami arbeitet mit der japanischen Unterwelt zusammen.

"Tokio im Jahr Null" sei ein Buch über die Niederlage, sagt David Peace. Und während er an diesem Roman geschrieben hat, wurde ihm klar, dass sich eigentlich alle seine Bücher um Niederlagen drehen. Denn in der Niederlage zeige sich das wahre Gesicht der Menschen. Nicht jeder könne gewinnen, so der Autor, aber Niederlagen habe schon jeder erlebt.

Schwarz und aussichtslos

"Tokio im Jahr Null" ist ein dunkles Buch. Fast noch schwärzer und aussichtsloser als das auch schon dunkle und schwarze "Red-Riding-Quartet". Und auch stilistisch geht David Peace noch einen Schritt weiter. Bei Peace verschwimmen die Erzählperspektiven; ihm ist die Anmutung der Sprache ebenso wichtig wie das, was sie erzählt. Der neue Roman ist ebenso sehr ein Krimi wie ein Stück Avantgarde-Literatur.

Er lese sehr viel fortschrittliche Literatur, sagt David Peace. Was ihn aber störe, sei der Mangel an Inhalten. Das Werk verkäme zu oft zu einer reinen Stilübung. Und das wolle er vermeiden.

Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton. ...
Unablässiges Hämmern.
Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton.
Ich schlage die Augen auf, es fällt mir wieder ein.
Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton.
Ich bin einer der Überlebenden.
Einer der Glücklichen.
Ich nehme mir mein Taschentuch und reibe mir Gesicht und Nacken trocken. Ich wische mir die Haare aus den Augen. Ich schaue auf meine Uhr:
Chiku-taku. Chiku-taku. Chiku-taku.
Es ist zehn Uhr; erst zehn Uhr.

Kampf gegen innere Dämonen

Alle seine vorhergegangenen Bücher spielten an einem Ort und zu einer Zeit, die er kannte, sagt David Peace. Hier nun schreibe er zum ersten Mal über etwas, das er nicht selbst erlebt hat. Deswegen war es so wichtig, dass das Buch nach der Stadt rieche und nach der Stadt klinge.

Inspektor Minami kämpft nicht so sehr gegen das Verbrechen; er kämpft gegen den Apparat und er kämpft vor allem gegen die inneren Dämonen. Schlafen kann er nur mit Hilfe von starken Medikamenten - und die bekommt er nur, wenn er dem Chef der Untwelt zuarbeitet. Geplagt wird er von seinen Träumen aus dem Krieg gegen China. Bei David Peace gibt es keine Unschuldigen - niemand steht außerhalb der Katastrophe.

Reise ans Ende der Nacht

"Tokio im Jahr Null" ist eine albtraumhafte Tour de Force durch ein zerstörtes Land. Eine beängstigende Reise an das Ende der Nacht. Mit "Tokio im Jahr Null" ist auch der Autor selbst an einem Ende angelangt. Er habe an dem zweiten Teil der Tokio-Trilogie länger geschrieben als an jedem anderen Buch vorher, so David Peace. Geschrieben, geschrieben, geschrieben, und weggeworfen, weggeworfen, weggeworfen. Das nächste Buch werde deshalb eine andere Anmutung haben. Aber keine Angst: Es handelt wieder von einem Verbrechen.

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Das Buch der Woche, Freitag, 9. Oktober 2009, 16:55 Uhr

Ex libris, Sonntag, 11. Oktober 2009, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
David Peace, "Tokio im Jahr Null", aus dem Englischen übersetzt von Peter Torberg, Liebeskind Verlag

Liebeskind Verlag