Was hat das BIP mit unserem Lebensstandard zu tun?
Wie misst man Wohlstand?
Das BIP gilt als international gültiges Maß, wenn man wissen will, ob es einer Gesellschaft gut geht. Es misst die Wirtschaftsleistung eines Landes, ignoriert aber Verteilungsfragen und Umweltzerstörung. Ist es Zeit, unser Messsystem zu überdenken?
8. April 2017, 21:58
Michaela Moser über das Wirtschaftswachstum
In den vergangenen Jahrzehnten wurde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zunehmend als Maß für den Wohlstand eines Landes gesehen. Steigt das BIP, sinkt die Arbeitslosigkeit und geht es den Menschen in einem Land besser, so die einfache Formel.
Dann kam die Wirtschaftskrise: Rezession statt Wachstum führte zu einer grundlegenden Diskussion, ob man mit dem BIP Wohlstand überhaupt messen kann. Das BIP war ursprünglich nicht dazu gedacht, Aussagen darüber zu machen, wie gut es einem Volk geht. Es sollte als ökonomischer Indikator die Wirtschaftsleistung eines Landes messbar und vergleichbar machen.
BIP erlaubt weltweiten Vergleich
Unter dem Bruttoinlandsprodukt versteht man die Summe aller Produkte und Dienstleistungen, die in einer Volkswirtschaft produziert und zu Marktpreisen bewertet werden. Diese Maßzahl ist deswegen so etabliert, weil sie seine einfache Größe und zwischen den Staaten gut vergleichbar ist.
Das BIP lässt allerdings einige für den Wohlstand relevante Faktoren außer Acht: die Umweltverschmutzung etwa. Der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz bringt einen Vergleich: Steht ein Angestellter eine Stunde lang mit seinem Auto im Stau, wird der Benzinverbrauch positiv im BIP verbucht, obwohl die Umweltbelastung evident ist und die verlorene Arbeitszeit der Volkswirtschaft schadet.
Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat Anfang 2008 eine Kommission unter der Leitung von Joseph Stiglitz einberufen, die herausfinden soll, ob das BIP tatsächlich den Wohlstand eines Landes widerspiegelt. Die Stiglitz-Kommission hat ihre Ergebnisse Mitte September auf den Tisch gelegt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Messung der Wirtschaftsleistung dringend reformiert gehört, denn der Wohlstand einer Gesellschaft hängt nicht nur vom Wirtschaftswachstum, sondern auch vom sozialen und ökologischen Umfeld ab.
Ökologische und soziale Kriterien
Es ist also notwendig, auch für die Bereiche der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit eine adäquate und möglichst umfassende Kennzahl zu finden. Beim erstmals abgehaltenen world resources Forum Mitte September in Davos in der Schweiz schlugen führende Nachhaltigkeitsforscher so eine einfache Kennzahl für die ökologische Nachhaltigkeit vor. Sie lässt sich dem BIP gegenüberstellen.
Die Messung des Ressourcenverbrauchs für Produkte kann zudem für die Klimadiskussion neuen Argumentationsstoff liefern. Berechnet man für Produkte Ressourcenverbrauch und CO2-Emissionen, verschieben sich weltweit die Verhältnisse. Die Hauptverursacher werden nämlich dann in den Ländern zu suchen sein, die die Produkte konsumieren.
Auch die sozialen Aspekte sind im BIP unzureichend berücksichtigt. Für soziale Nachhaltigkeitsforscher und -forscherinnen steht dabei die Frage im Vordergrund, welches Wachstum notwendig ist um zu mehr Lebensqualität zu kommen. Selbst in Jahren mit hohem Wirtschaftswachstum gab es in Österreich für die Armutsbekämpfung und für Verteilungsfragen nur wenig positive Resultate. Ist man auf der Suche nach einem Index, der den Wohlstand einer Gesellschaft abbildet, kann es sinnvoll sein, sich die typischen Krankheiten in den Staaten anzusehen. Diabetes oder psychische Krankheiten etwa sind dann Maßzahlen für den Wohlstand.
Ein zukünftiges neues BIP muss also durch soziale wie durch ökologische Kennzahlen erweitert werden. Das neue BIP würde dann nicht mehr - wie einst Robert Kennedy meinte - "alles messen außer das, was das Leben lebenswert macht".
Hör-Tipp
Saldo, Freitag 9. Oktober 2009, 9:45 Uhr
Links
Seri - Sustainable Europe Research Institute
Armutskonferenz
Österreichische Nationalbank
World Resources Forum