Russlands Demokratie hat eigene Spielregeln
Wahlen ohne Auswahl
Am Sonntag finden in Moskau Regionalwahlen statt. Die Sieger stehen jetzt schon fest: Der regierende Bürgermeister Jurij Luschkow und die Regierungspartei Einiges Russland von Wladimir Putin. Viele Oppositionskandidaten dürfen erst gar nicht antreten.
8. April 2017, 21:58
"Puschkin hat gesagt, ein Aufstand ist in Russland sinnlos, dafür gnadenlos. Genau so ist es mit den Wahlen: Sie sind gnadenlos und sinnlos", sagt Sergej Mitrochin, Vorsitzender der liberalen Oppositionspartei Jabloko, "das sind keine Wahlen wie im Westen, es ist ein politisches Spiel für das es keine Spielregeln gibt, und das außerdem auf einem verminten Spielfeld stattfindet."
Die liberale Jabloko hat gemeinsam mit dem russischen Kleinunternehmerverband zu einer Wahlkampfkundgebung aufgerufen. Aber nicht mehr als 150 Menschen sind auf eine Insel im Moskwa-Fluss im Zentrum der Stadt gekommen: Der Kreml ist zwar in Sichtweite, Passanten die man zur Stimmabgabe animieren könnte, kommen aber praktisch keine vorbei.
Dafür überwacht die Polizei die Kundgebung genau: Jeder Teilnehmer muss, bevor er das umzäunte Kundgebungsgelände betritt durch einen Metalldetektor gehen und sich durchsuchen lassen.
Zahlreiche Oppositionskandidaten nicht zugelassen
Neben der Partei Einiges Russland treten bei der Wahl die Liberaldemokratische Partei von Wladimir Schirinowskij an, die als enger Verbündeter des Kremls gilt, außerdem die Partei Gerechtes Russland, die überhaupt von kremlnahen Gruppen gegründet worden ist. Echte Oppositionsparteien sind nur die Kommunistische Partei, Jabloko und eine bis dahin unbekannte Gruppe namens Patrioten Russlands.
Die Zahl der politischen Parteien in Russland hat sich in den letzten Jahren drastisch reduziert. Sind bei der Parlamentswahl im Jahr 2003 noch 44 Parteien angetreten, gibt es heute nur mehr sieben Parteien, beklagt Alexander Kynew von der Nichtregierungsorganisation Golos, die die Wahlen im ganzen Land beobachtet.
Bei den Wahlen, die am Sonntag nicht nur in Moskau, sondern auch in vielen anderen Gebieten, Dörfern und Städten stattfinden, haben die Wahlbehörden nach seinen Informationen etwa 6.000 Kandidaten und Kandidatinnen von den Listen gestrichen - die meisten, weil angeblich bei den Unterstützungserklärungen, die für eine Kandidatur nötig sind, etwas nicht gestimmt haben soll: "Nehmen wir zum Beispiel das Gebiet Kurgan, die Hauptstadt heißt ebenfalls Kurgan. Die Unterstützer haben auf den Formularen bei der Adresse einfach nur Kurgan hingeschrieben. Die Behörde meint aber, sie hätten schreiben sollen: Stadt Kurgan, gelegen im Kurganer Gebiet. Die Unterschriften sind deshalb für ungültig erklärt worden."
Regierungspartei hält Hof im Fernsehen
Ganz anderes sehen das natürlich Vertreter der Partei Einiges Russland. Deren Kandidat, der 26-jährige Alexander Borissov kann die Vorwürfe, dass die Wahl eingeschränkt sei, nicht nachvollziehen. Die Kandidaten hätten eben nicht die ausreichende Zahl an Unterstützungserklärungen zusammengebracht, sagt er.
Schon heute sitzt Borissov im Bezirksrat von Goljanovo, in dem Einiges Russland 14 der 15 Mandate hat: "Natürlich gibt es eine Wahl, es treten ja sechs Parteien an, und niemand hindert Sie daran, ihr Kreuz bei einer der anderen Parteien zu machen. Aber die Moskauer überlegen es sich und werden sicher den Kurs der letzten vier Jahre weiter unterstützen: Sie haben die Folgen der Wirtschaftskrise praktisch nicht gespürt und das vor allem dank des Bürgermeisters und seiner Mannschaft."
Damit an diesen Verdiensten keine Zweifel aufkommen, sorgen die Medien, vor allem das Fernsehen. Die Stadt Moskau hat einen eigenen regionalen Sender, TV Center, in dem Luschkow regelmäßig Hof hält, so wie Premier Putin und Präsident Medwedew das in den landesweiten Sendern machen. Die Opposition kommt dagegen im Fernsehen so gut wie überhaupt nicht vor. Umso häufiger sind dagegen die Aufrufe zur Wahl zu gehen.
Guter, korrupter Bürgermeister
Denn laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Levada haben nicht einmal 40 Prozent der Wahlberechtigung auch Interesse daran, an der Wahl teilzunehmen: Es würde sich durch das Ergebnis sowieso nichts ändern, meint die Mehrheit. Weniger als ein Drittel glaubt, dass die Wahlen regulär und ohne Manipulationen über die Bühne gehen werden.
Weitere interessante Ergebnisse der Studie: 66 Prozent der Befragten halten die Vorwürfe, dass Bürgermeister Luschkow in korrupte Geschäfte verwickelt ist, für glaubwürdig. Trotzdem halten ihn fast 40 Prozent für einen guten Bürgermeister.
Dieses Paradox sei leicht zu erklären, mein Wahlforscher Alexander Kynew von Golos: "Diese Wertung von Luschkow ist eine Wertung ohne Alternative. Fragt man genauer sieht man, dass die Leute sehr unzufrieden sind, mit der Korruption, mit der Verschlechterung der Sozialleistungen, mit der Inflation, mit den sinkenden Einkommen und so weiter. Aber die Politiker machen den Menschen Angst, dass die Opposition vom Ausland finanziert wird und Russland ausverkaufen will. Und daher haben sie den Eindruck, dass die regierenden Politiker vielleicht nicht so gut sind, die anderen aber auf jeden Fall noch schlechter."
Trotz aller Hindernisse glaubt er, dass die Zahl der Oppositionspolitiker im nächsten Stadtparlament größer sein wird - an der Mehrheit werde sich aber auf keinen Fall etwas ändern.
Hör-Tipp
Europa-Journal, Freitag, 9. Oktober 2009, 18:25 Uhr