Der österreichische Durchschnittsmensch

Was Max Mustermann gefällt

In den 1980er Jahren ersetzten Marktforscher Otto Normalverbraucher durch den postmodernen Anything-goes-Typ Markus Möglich. Die traditionellen sozialen Schichten gäbe es nicht mehr, stellte man fest. Gibt es Herrn und Frau Österreicher überhaupt noch?

Max Mustermann geht gelegentlich ins Kino, hört gern Musik und liest auch mal ein Buch. Der Verlags- und Buchmarktexperte Rüdiger Wischenbart gibt dem lesenden Max Mustermann hohen Kredit: Bücher seien kein Nischensegment, sagt er, doppelt so groß wie der Kinomarkt sei der Buchmarkt und viel größer als der Musikmarkt.

Allerdings liest Herr Mustermann weniger als Frau Mustermann, denn Lesen ist eine zunehmend weibliche Angelegenheit, insbesondere die Belletristik, Männer hingegen lesen eher zum Zweck der Fortbildung und des Wissens. Die Tendenz geht also zum Schmöker für Frau Mustermann und dem Sachbuch für Herrn Mustermann.

Vorurteile überall

Bestsellerlisten, wie sie etwa der "Spiegel" monatlich neu erstellt, geben Auskunft darüber, was auf dem Buchmarkt gerade in ist. Und da entkräftet Rüdiger Wischenbart einige Klischees: Nicht die simple Lesekost sei die gefragteste, auch sei der Bestsellermarkt nicht im Würgegriff der englischen Sprache. Die einzelnen Genres haben unterschiedliche Konjunkturen: Der Krimi-Boom hält seit etwa 15 Jahren ziemlich ungebrochen an. Groschenhefte seien jedenfalls ein Auslaufprodukt, heute vielfach durch Soap-Operas und Fernseh-Familien-Serien ersetzt.

Dass Frau Mustermann Groschenhefte liest und Herr Mustermann gern zu Schlagermelodien und Volksmusik schunkelt und, das ist im Übrigen das gängige Vorurteil der Intellektuellen über den bildungsfernen Pöbel, und es stammt aus einer Zeit, in der zwischen der bildungsbürgerlicher Hochkultur und der trivialen Popularkultur eine unüberbrückbare Kluft herrschte. Die Generation, auf die das zugetroffen hat, ist inzwischen bereits im Pensionsalter. Der Geschmack der Massengesellschaft bewegt sich heute zwischen dem Hang zu Superstars auf der einen Seite und einer sehr ausdifferenzierten Vielfalt auf der anderen Seite.

Das Phänomen des zeitgenössischen Musikgeschäfts

Folgt man der sogenannten "Long-Tail-Theorie" des amerikanischen Journalisten Chris Anderson, so ergibt sich für durchschnittliche Geschmacksverhalten in den Bereichen Buch, Film oder Musik das gleiche Bild: Auf der einen Seite relativ wenige Blockbusters, eine geringe Anzahl von Superstars, die enorme Reichweite haben - Dan Brown etwa in der Literatur oder Mariah Carey in der Musik - und auf der anderen Seite eine unübersehbare Vielfalt. Beides, das Spitzensegment einerseits und "the long tail", der "lange Schwanz" der Vielfalt, die Anderson in einer Parabelkurve dargestellt hat, machen jeweils die Hälfte des Marktes aus.

Entwickelt hat Anderson die Long-Tail-Theorie für die Medienbranche, und sie erklärt das Phänomen des zeitgenössischen Musikgeschäfts, denn da entfällt ein beträchtlicher Teil der Kaufkraft auch auf die Nischenmärkte weniger bekannter Künstler.

Nicht mehr die Charts allein entscheiden über den Erfolg eines Songs, sondern auch die Beurteilung in den entsprechenden Internet-Foren, darüber hinaus hat das Internet neue Formen des Zugangs zu Musik geschaffen. Nicht die Hits allein machen das Geschäft. Und aus den Verkaufszahlen den Geschmack von Max Mustermann abzulesen, ist schwierig geworden: Der Umsatz über den Ladentisch geht in allen Sparten zurück, zwar erlebt er in der Volksmusik die geringsten Einbrüche, das liegt aber auch daran, dass es die Altersgruppe ab vierzig ist, die überhaupt noch CDs kauft. Wer was über Pauschalverträge vom Handy oder aus dem Internet downloadet oder über Radio und Fernsehen konsumiert, kann in der Marktforschung schwer zugeordnet werden.

Zudem sind die Grenzen zwischen Volksmusik und Pop, der den weit höheren Marktanteil hat, fließend: Sind Hansi Hinterseer und Andrea Berg nun Volksmusiker, Schlagersänger oder Popstars?

Jedem Musikgenre seine Ohrwürmer

Um den Mustermann'schen Geschmack herauszufiltern und zu analysieren, müsse man den popularmusikalischen gemeinsamen Nenner finden: Das, was die Herzen schmelzen lässt und auf die Tränendrüse drückt, das sei in der Oper nicht anders als im Konzertstadion, sagt Johnny Pinter. Er ist Musiker, Komponist und Arrangeur von Pop-Songs, als Dirigent und Chorleiter bringt er Popularmusik zum Klingen.

Jedes musikalische Genre, von der Oper über das Musical, den Jazz, das Chanson, Pop, Rock bis hin zur Volksmusik habe seine Ohrwürmer.

Musik, die produziert wird, um eine möglichst große Zielgruppe von Mustermännern zu erreichen, weise ähnliche stilistische Mittel und Effekte auf: den Refrain etwa, vielfach wiederholt, damit sich der Text einprägt, und zuletzt um einen Ganzton gesteigert, um das Publikum zum Singen zu animieren. Und wo Max Mustermann gerne mitsingt, da geht es um Freundschaft, Liebe, Trennung, Abschied. Guter Durchschnitt eben: die universalen Themen des Lebens, ohne die es ja auch keine Kulturgeschichte gäbe.