Das postamerikanische Zeitalter

Der Aufstieg der Anderen

Die Erklärung der Weltpolitik zwischen zwei Buchdeckel gepresst und mit knackigen Titeln versehen hat Tradition. Das jüngste Exemplar dieser Gattung heißt "Der Aufstieg der Anderen" und entwirft das Bild vom postamerikanischen Zeitalter.

Der 1964 in Bombay geborene Fareed Zakaria ist Politologe und Tennisfan. Seine Analyse der Weltpolitik verknüpft er geschickt mit seinem Lieblingssport. Vor 30 Jahren stellten die Amerikaner bei den US Open – den Tennismeisterschaften in Flushing Meadows Park im New Yorker Stadtteil Queens - die satte Hälfte der 128 Spieler. Im Jahr 2007 schafften nur noch 20 Amerikaner die Qualifikation für den prestigeträchtigen Bewerb.

Im Jahr 2007 kamen die sechzehn Spieler, die es ins Achtelfinale schafften, aus zehn verschiedenen Ländern. Anders gesagt: Die Vereinigten Staaten sind in den letzten zwanzig Jahren nicht schlechter geworden. Nur spielt heute plötzlich jeder das Spiel.

Neue "Global Player"

Wem die Tennismetapher zu banal scheint, dem liefert Fareed Zakaria sogleich ein Beispiel aus der Welt der sogenannten Hochfinanz. Auch in diesem Bereich verloren die USA ihre Vorherrschaft. 2005 wurde die New Yorker Börse durch die Tatsache in Unruhe versetzt, dass 24 der 25 größten Börsengänge des Jahres außerhalb der Vereinigten Staaten stattfanden. Ob Tennis oder Börse - deutlich ist ein "Aufstieg der Anderen" wahrzunehmen. Das wirtschaftliche und kulturelle Augenmerk wandert immer mehr in Regionen außerhalb Nordamerikas. Russland, China und Indien sind neue "Global Players", wie sie im Politologen-Jargon genannt werden.

Aufgaben, die einst den einzelnen Staaten oblagen, werden heute gemeinsam mit internationalen Institutionen wie der Welthandelsorganisation und der Europäischen Union wahrgenommen. Zu allen erdenklichen Themen sprießen heute Tag für Tag überall auf der Welt nicht-staatliche Organisationen aus dem Boden. Konzerne und Kapital ziehen auf der Suche nach dem lukrativsten Standort von Land zu Land und belohnen die eine Regierung, während sie die andere abstrafen. Terrorgruppen wie al-Qaida, Drogenkartelle, Aufständische und Milizen aller Art nutzen die Ecken und Winkel des internationalen Systems für ihre Aktivitäten. Die Macht bewegt sich von den Nationalstaaten weg – nach oben, unten und zu den Seiten. Unter diesen Rahmenbedingungen büßt der traditionelle Gebrauch nationaler Macht im ökonomischen und militärischen Bereich an Effizienz ein.

Einer der 21 wichtigsten Menschen des 21. Jahrhunderts

Der Politikwissenschaftler Fareed Zakaria weiß, wovon er spricht. Er arbeitete für die renommierte Außenpolitik-Zeitschrift "Foreign Affairs" und ist seit dem Jahr 2000 Herausgeber der internationalen Ausgabe von "Newsweek". Das politische Wochenmagazin erreicht immerhin 24 Millionen Leser weltweit. Für "Newsweek" und für die "Washington Post" schreibt Zakaria eine regelmäßige Kolumne und jeden Sonntag ist er Gastgeber einer einstündigen Fernsehsendung auf CNN.

Bereits 1999 listete das "Esquire Magazine" Fareed Zakaria als einen der 21 wichtigsten Menschen des 21. Jahrhunderts. Sein Buch über das postamerikanische Zeitalter wurde umgehend nach Veröffentlichung zu einem Bestseller.

Sinnlose Panikmache

In seiner fachkundigen Darstellung lässt der Autor die Kirche im Dorf und findet erfrischend klare Worte für "ideologische Scharfmacher", die die Weltpolitik martialisch missverstehen wollen.

Die Panikmacher registrieren die hirnrissigen Aussagen jedes fanatischen Imams, durchstöbern die Archive nach jedem Hinweis auf den Weltuntergang und zeichnen das Geschwätz von jedem Spinner auf, der in einer spätabendlichen Fernsehsendung den Märtyrertod verherrlicht, um diese Aufnahme anschließend zu verbreiten. Sie bekommen einen Wutanfall, wenn sich irgendwo ein somalischer Taxifahrer weigert, eine Kiste mit alkoholischen Getränken in seinen Wagen einzuladen, und sehen darin den Auftrag zur Einführung der Scharia im Westen. Aber diese Episoden spiegeln nicht die Grundrichtung wieder, in der sich die islamische Welt bewegt. Auch diese Welt befindet sich in einem Prozess der Modernisierung. In der islamischen Welt sind die Reaktionäre zahlreicher und radikaler als in anderen Kulturen. Aber diese Leute bilden unter den weltweit über eine Milliarde Muslimen nach wie vor eine winzige Minderheit.

Kein Oberlehrer

Die große Stärke von Fareed Zakarias Buch ist, dass in der Fülle an Fakten nie Fadesse aufkommt und dass der Autor klar Standpunkt bezieht, ohne zu den Holzhammer-Methoden der Oberlehrer zu greifen. Zakaria ist kein weltabgewandter intellektueller Fachsimpler, sondern ein gebildeter und interessierter Mensch, der sich nicht hinter dem Schutzschild seiner Disziplin versteckt. Er vermag gesellschaftliche Zusammenhänge aufzuzeigen und seine Ausritte etwa in die Welt der Mode machen den "Aufstieg der Anderen" auch für politologische Laien lesenswert.

Schleier und Tschador mögen völlig annehmbare Kleidungsstücke sein, aber sie decken sich mit einer Einstellung, die die moderne Welt auch in anderer Sicht ablehnt. In Indien war das Tragen traditioneller Kleidung lange Zeit ein Bekenntnis zum Patriotismus; Gandhi bestand darauf, um damit seinen Protest gegen britische Zölle und britische Textilien zum Ausdruck zu bringen. Mittlerweile ist der westliche Straßenanzug zur Standardkleidung indischer Geschäftsleute und auch vieler junger Regierungsbeamter geworden, was von einer neuen postkolonialen Phase in Indien zeugt. Westliche Stile, die für Modernität stehen, prägen die Arbeitskleidung von Männern.

Wer meint, Abhandlungen über internationale Politik eigneten sich nicht als erbauliche Bettlektüre, der sollte es unbedingt mit Fareed Zakarias "Aufstieg der Anderen" probieren. Das Buch ist flüssig zu lesen, weil es aussagekräftige Zahlen und Fakten mit akademischem Wissen in Einklang bringt. Ein besonderes Lob verdient die gelungene Übersetzung von Thorsten Schmidt.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Fareed Zakaria, "Der Aufstieg der Anderen. Das postamerikanische Zeitalter", aus dem Amerikanischen übersetzt von Thorsten Schmidt, Siedler Verlag