Terkal-Fan Wunderlich
Vom Tischler zum Tenor
Aus einfachsten Verhältnissen stammend, wurde aus dem arbeitslosen Tischler Karl Terkal ein gefeierter Opernsänger. "Ich habe das hohe C noch, nur brauche ich es nicht mehr", erklärte er in einem Interview zu seinem 70. Geburtstag.
8. April 2017, 21:58
Karl Terkal in "La Bohème"
Es war in der Probenphase der "Palestrina"-Premiere der Wiener Staatsoper im Dezember 1964. Fritz Wunderlich sollte zum ersten Mal die Titelpartie verkörpern und wurde vor dem Bühnentürl wieder einmal von seinen zahlreichen Fans angehimmelt. Da hat er ganz bescheiden gemeint, einer der Meister im Palestrina-Ensemble hätte noch eine viel schönere Stimme als er selbst, und nannte daraufhin Karl Terkal.
Das klingt vielleicht ein bisschen überzeichnet, und natürlich soll jetzt nicht ein Tenor gegen einen anderen ausgespielt werden, schon gar nicht, wenn deren künstlerische Dimensionen so grundverschieden gewesen sind. Im Grunde genommen aber hatte Wunderlich nicht unrecht, denn was pure Stimmschönheit betrifft, hatte Karl Terkal kaum Vergleiche zu scheuen.
Straßensänger, Tischler, Soldat
Der 1919 in Wien geborene Tenor stammte aus einfachsten Verhältnissen, die er auch in späteren Zeiten nie vergessen oder geleugnet hätte. In Zeiten bitterster Not hat er sich als Straßensänger betätigt und lediglich davon geträumt, einmal vielleicht ein neuer Slezak oder Kiepura zu werden, die er beide sehr verehrt hat.
In der Realität aber galt es, zunächst einmal ein anständiges Handwerk zu erlernen. Also wurde er Tischler, musste allerdings nur allzu bald die Hobelbank gegen die Uniform tauschen und den Krieg schließlich bis zum bitteren Ende durchstehen.
Eleve an der Staatsoper
Nach Wien zurückgekehrt, hieß es zunächst wieder den erlernten Beruf aufnehmen. Nebenbei aber hat er Gesangsunterricht genommen und sich sogar zu einem Wettbewerb gewagt, bei dem er (neben Leonie Rysanek) immerhin einen Ehrenpreis erringen konnte. Schließlich wurde er Haustischler in der Wiener Musikakademie (heute Musikuniversität), und war damit seinem Ziel schon etwas näher gerückt, immerhin konnte er da schon die Kulissen aufbauen, in denen dann weit weniger Begabte ihre ersten Bühnenschritte unternahmen.
Eines Tages aber meinte er zum prominenten Kammersänger Duhan, der dort unterrichtet hat: "Also Herr Professor, die singen aber wirklich scheußlich!" Worauf Duhan meinte, er solle ihm doch selbst einmal vorsingen... Nun, diese Gelegenheit ließ sich Terkal nicht entgehen, und das Ergebnis war, dass die Akademie zwar ihren Haustischler verlor, die Staatsoper dafür einen neuen Gesangseleven gewonnen hatte, der mit seiner völlig natürlich sitzenden Stimme alle aufhorchen ließ - das war 1949.
Von Wien nach Graz und retour
Im Folgejahr ging Terkal dann an die Grazer Oper, erarbeitete sich dort in kürzester Zeit ein vielfältiges Repertoire und konnte so bereits 1951 an der Wiener Staatsoper in zwei so unterschiedlichen Rollen wie dem Don Ottavio ("Don Giovanni") und dem Kalaf ("Turandot") gastieren. Vier Jahrzehnte lang blieb die Staatsoper dann seine eigentliche künstlerische Heimat, auch wenn seine Entwicklung dort nach dem Tod seines großen Förderers Clemens Krauss (1954) leider etwas stagnierte und man nach Übernahme der Direktion durch Herbert von Karajan mehr auf Internationalität als auf Individualität Wert gelegt hat.
So hat Karl Terkal im überwiegenden Teil seiner Staatsopernkarriere zwar nur mehr kleinere Rollen gesungen, in der Zeit davor sowie an der Volksoper und bei den verschiedensten Rundfunkanstalten aber zeigte sich sein höhensicherer Tenor den schwierigsten Aufgaben gewachsen, einschließlich solcher Bravourpartien wie zum Beispiel dem Arnold in Rossinis "Wilhelm Tell" oder dem Raoul in den "Hugenotten" von Giacomo Meyerbeer.
Hohes C noch jenseits der 70
Anlässlich seines 70. Geburtstages meinte er in einem Interview: "Ich habe das hohe C noch, nur brauche ich es nicht mehr!" Und er war gerne bereit, dieses hohe C auch sofort glanzvoll zu demonstrieren, und selbst mit 75 hat er bei seiner Geburtstagsfeier noch einige Operettenarien zum Besten gegeben, so perfekt und mit unverändertem Stimmtimbre, dass jüngeren Anwesenden dabei buchstäblich der Mund offen geblieben ist.
An der Wiener Staatsoper ist Karl Terkal bis 1991 aufgetreten, da war er also bereits 72, als Wirt im "Rosenkavalier" aber nach wie vor eine unverwechselbare Type mit völlig intakter Stimme und einem strahlenden hohen B.
Höchstes Prädikat: Volkssänger
In unseren Tagen wird der Oper oft ein quasi pseudo-intellektuelles Mäntelchen übergestülpt - ob zum Vorteil dieser Kunstgattung, bleibe dahingestellt. In früheren Zeiten hingegen war die Oper eine sehr populäre Angelegenheit, und ihre Protagonisten kamen wie Karl Terkal oft aus einfachsten Verhältnissen, hatten ursprünglich einen Handwerksberuf erlernt.
Apollo Granforte etwa, der große italienische Bariton, war ursprünglich Schuster, Leo Slezak hat als Gärtner und Schlosser gearbeitet, Miguel Fleta als Maurer, Giuseppe Zampieri war Schneider, und Terkal hat eben erst einmal das Tischlerhandwerk erlernt. Er war folglich auch kein akademisch geprüfter Opernsänger, kein Magister, kein Bachelor, was heute ja von jungen Gesangsaspiranten verlangt wird. Karl Terkal war in erster Linie Besitzer einer unglaublich schönen, natürlichen Tenorstimme, mit der er mehr als vier Jahrzehnte lang den Menschen Freude bereitet hat: ein Volkssänger im wahrsten Sinne des Wortes.
Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 20. Oktober 2009, 15:06 Uhr