Der wortkarge Norweger Kjell Asjkildsen

Vom gezielten Verschweigen

Sein Metier ist die Kurzgeschichte. Sein Stil wird karg, schlicht, sogar maulfaul genannt. Sein Bestreben ist es, mit der kleinsten Anzahl Worte die größtmögliche Genauigkeit zu erreichen. Sein Sujet: die Nicht-Beziehungen einander Nahestehender.

Man nennt ihn die Graue Eminenz der norwegischen Literatur, vergleicht ihn mit Samuel Beckett, bemüht die Vokabel lakonisch, trocken, asketisch, pointiert und vor allem "minimalistisch" für seine Texte, staunt über das schmale Oeuvre: 6 Romane und 6 Novellensammlungen in knapp fünfzig Jahren - damit erreicht Kjell Askildsen einen Jahresschnitt von dreißig Seiten.

Einer seiner Kollegen, der norwegische Schriftsteller Jan Kjærstad, hat der Welt den Begriff "Askildsen-Syndrom" geschenkt: daran leiden seiner Meinung nach jene Autoren und Autorinnen, die sich aller Metaphern enthalten, einer emotionalen Nüchternheit frönen und überhaupt das Fabulieren und das "Ideensprudelnde" meiden wie der Teufel das Weihwasser.

Die Freude am Wegstreichen

Kjell Askildsen arbeitet wie ein Meisterkoch, der eine Tomaten-Essenz herstellt: immer wieder geht er das Geschriebene durch, um es zu verdichten. "Es macht mich glücklich, wenn ich etwas Entbehrliches finde. Ich streiche viel, aber das finde ich ebenso gut, wie zu schreiben." Von allem Anfang an lässt er alles weg, was den Leser zu einem bildhaften Eindruck führen könnte.

Man wird in keiner seiner Geschichten einen Hinweis auf Aussehen, Kleidung oder Umgebung der Figuren finden. "Diese Beschreibungen lasse ich bewusst weg", erklärte Askildsen in einem Interview. "Ich will den Leser nicht festbinden, sondern ihn aktiv hineinziehen in die Erschaffung von Literatur." Und: "Wenn ich den allerersten Satz hinschreibe, weiß ich noch nichts über meine Figuren; nicht, was sie antreibt und wer sie sind. Im Grunde weiß ich nicht mehr, als wenn Sie das Buch aufschlagen und den ersten Satz lesen." Der Leser selbst erschafft das Bild der Umgebung, in die er die handelnden Menschen, nach seiner Vorstellung geformt, hineinstellt.

Die Essenz des Sinnlosen

Das erreicht Askildsen nur, weil er ein sehr genauer Beobachter ist. "Ich interessiere mich", sagte er, "für das Menschliche, für verbotene Zonen im Menschen. Die findet man nicht in dem, was Menschen sagen, sondern darin, wie sie sich im Ganzen ausdrücken, in ihrer Haltung und auch in ihrer Art, Pausen zu machen."

Und so unterbricht er, nur als Beispiel, immer wieder die ohnehin wortkargen Gespräche seiner Figuren durch gleich lautende Zuweisungen: diese "sagte er", "sagte ich" machen deutlich, wie stockend, wie mühsam und in welch eingefahrenen Bahnen sich diese Nicht-Kommunikation abspielt. Bis ins Tiefste reichende Einsamkeit, halbherzige Annäherungsversuche, emotionale Leere, gut verborgene Abgründe, kurz: die Essenz der Sinnlosigkeit in wenigen Worten eingefangen, darin ist Askildsen Meister. Er nennt es "die Schattenseite des Daseins einfangen."

Der Schriftsteller als Angler

Das Wort "einfangen" verwendet er auch noch in anderer Hinsicht: weil er seine Leser und Leserinnen kurz hält, mit dürren Worten lockt, muss er diese Worte so geschickt setzen, dass jedes Wort auf das nachfolgende neugierig macht, dass seine Leser und Leserinnen das Bedürfnis verspüren, diese Geschichte bis zum Ende zu lesen. "Als Autor bin ich eine Art Angler. Ich werfe meine Rute aus und möchte den Leser an den Haken bekommen. Und dann muss ich die Angelschnur einholen, ohne dass der Leser sich vom Haken löst. Bei einer gelungenen Erzählung soll der Leser einem Fisch gleichen, der an Land verzweifelt zappelt."

Öffentliche Buchverbrennung

24 Jahre war er alt, als er 1953 sein erstes Buch veröffentlichte, eine Sammlung von Kurzgeschichten - der deutsche Titel müsste "Von nun an begleite ich dich nach Hause" heißen. Das Buch geriet es in seiner Heimat, dem konservativen, abstinenten und frommen Südnorwegen sofort zum Skandal. "Ich hatte das Buch meinem Vater und meiner Mutter geschenkt", erinnert sich Askildsen. "Ich wohnte damals in einem Nachbarort von Mandal. Mein Vater kam mir im Auto entgegen und hielt an. Mein Vater arbeitete beim Ordnungsamt und war Mitglied in christlichen Organisationen. Er kurbelte das Fenster herunter. Er sagte: 'Ja, Kjell, ich danke dir für das Buch. Aber du sollst wissen: Ich habe es verbrannt!" … und zwar öffentlich!

Während die ländlichen Bibliotheken sich weigerten, das Buch in die Regale zu stellen, war man in Oslo begeistert. Kaum jemand hatte sich vor Askildsen an die damaligen Tabuthemen gewagt. Erstaunlicherweise, oder auch wieder nicht, kam es sehr schnell zu einer zweiten Auflage des Buchs. Ermutigt durch diese Erfahrung beschloss Askildsen, Schriftsteller zu werden.

Der Partymuffel
1969 wurde er zum ersten Mal geehrt, weitere nationale und internationale Preise folgten. Wenige Monate vor seinem achtzigsten Geburtstag verlieh ihm die Schwedische Akademie, das sind die "Achtzehn", die den Literaturnobelpreisträger auswählen, den Nordischen Preis 2009.

Seinen achtzigsten Geburtstag wollte er übrigens ohne großen Rummel begehen, abgeschreckt durch frühere Erfahrungen: "Zu meinem 70sten gab es ein großes Fest, es waren jede Menge Leute da, aber ich stand nur starr vor Schreck stocksteif in der Gegend herum und kann mich an nichts erinnern. Von daher werde ich diesmal entfliehen!"

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 22. Oktober 2009, 11:40 Uhr

Buch-Tipp
Kjell Askildsen, "Ein schöner Ort", Sammlung Luchterhand

Links
Internationales Literaturfestival Berlin
Welt Online - Große Geschichten aus Norwegen
Deutschlandfunk - Metphernarmut und emotionale Kargheit
Deutschlandradio - Der Leser als zappelnder Fisch
Badische Zeitung - Die Schattenseite des Daseins
Titel Magazin - Auf der Suche nach den wenigsten Wörtern
Buchkritik.at - Ein schöner Ort