Mehr als bauen
Leben ins Land
Baukultur, die nachhaltige Gestaltung der gebauten und gestalteten Umwelt, ist kaum bekannt, könnte aber viele Probleme lösen. Um Baukultur bekannter zu machen und zu fördern, hat der Verein "LandLuft" den Baukultur-Gemeindepreis ins Leben gerufen.
8. April 2017, 21:58
Viele ländliche Gemeinden leiden unter einem Verlust an Infrastruktur, an Zersiedelung und starkem Verkehrsaufkommen, am Verlust des typischen Charakters des Ortes und Sinken der Lebensqualität.
Was Gemeinden auf dem Land brauchen, sind neue Impulse, neue Anziehungspunkte und eine neue Lebensraum-Qualität. Einen wesentlichen Beitrag dafür kann die Baukultur leisten, also die nachhaltige Gestaltung der gebauten und gestalteten Umwelt unter Einbeziehung aller Beteiligten.
Baukultur schafft nicht nur Bauten als ästhetisch schöne Objekte, sondern berücksichtigt beim Planen und Bauen soziale, ökonomische, ökologische und gestalterische Fragestellungen für eine ganze Gemeinde. Um die Baukultur im ländlichen Raum zu fördern, hat der von Architekten und Planern gegründete Verein "LandLuft" heuer erstmals den "LandLuft Baukultur-Gemeindepreis" ins Leben gerufen.
25 Gemeinden aus Österreich haben sich dafür beworben, eine Fachjury hat daraus acht herausragende Gemeinden ausgewählt, die am 4. November 2009 an der TU Wien ausgezeichnet werden.
Baukultur ist mehr als bauen
Kultur ist die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen und praktischen Lebensäußerungen einer Menschengruppe. Baukultur ist also mehr als das "schön" gebaute Objekt. Wird "mit Kultur" gebaut, so werden wesentlich mehr Probleme gelöst, mehr Ziele erreicht und mehr Zukunftsfragen einer Gemeinschaft beantwortet, als wenn "nur" ein ansprechendes Haus gebaut wird.
Roland Wallner, Vorstandsmitglied von LandLuft: "Baukultur ist ein Prozess, an dessen Ende die gebaute Umwelt steht. Das können Gebäude sein, aber auch Plätze oder Räume. Was für uns für eine gute Baukultur wesentlich ist, ist der Prozess davor: Wenn man das Bauen im ländlichen Raum als Chance begreift, die Umwelt zu gestalten und die Weichen in Richtung positive Ortsentwicklung zu stellen."
Das Land im Wandel
Warum dem Verein die Förderung der Baukultur vor allem im ländlichen Raum wichtig ist, erklärt Obmann Roland Gruber, der als Architekt vorwiegend auf dem Land tätig ist: "Der ländliche Raum steht vor einem großen Umbruch, es gibt einen demografischen Wandel, einen Wandel in der Mobilität. Überleben werden jene Orte, die sich intelligent mit der Zukunft beschäftigen und passende Antworten finden. Keine passende Antwort kann jedenfalls sein, dass man in historische Formen zurückfällt."
Innovationsschub für Gemeinden
Die Siegergemeinden des Baukultur-Gemeindepreises würden zeigen, so Roland Gruber, dass eine intensive Beschäftigung mit den Bedürfnissen und Zielen eines Ortes beim Bauen ein unglaublicher Innovationsschub entstehen könne.
In allen Preisträger-Gemeinden habe eine eher trostlose Stimmung in eine positive Stimmung umgeschlagen. Dadurch sind neue Ideen, neue Initiativen, neue Projekte und neue Chancen entstanden, die positive Auswirkungen auf zahlreiche Lebensbereiche des Ortes hatten und immer noch haben. Viele Gemeinden haben es sogar geschafft, langfristig wieder Arbeitsplätze in den Ort zu bekommen und die Abwanderung zu stoppen.
Individuelle Lösungen
Baukultur kann man lernen, doch es ist nichts, was man schablonenhaft angehen könnte. Jede Gemeinde und jede Gemeinschaft müsse ihren eigenen Zugang und ihren eigenen Weg finden, betont der Architekt Roland Gnaiger, der an der Kunstuniversität Linz die Abteilung für Architektur leitet und den Vorsitz der Jury für den Baukultur-Gemeindepreis inne hatte. Die Siegergemeinden würden das deutlich zeigen.
Die Gemeinden Schrems und Stadt Haag in Niederösterreich zum Beispiel konnten durch ihre baukulturellen Aktivitäten ihr Image über die Gemeindegrenzen hinweg verbessern und vermehrt Touristen und Besucher anlocken.
Hinterstoder in Oberösterreich und Kals in Osttirol wurden von Gemeinden "im Dornröschenschlaf" (Zitat Helmut Wallner, Bürgermeister von Hinterstoder) zu modernen Bergdörfern mit urbanem Flair. Haslach in Oberösterreich hat es geschafft, eine alte Industrieruine in ein Zentrum der Kultur und der Innovation zu verwandeln und damit den Verlust an Arbeitsplätzen beim Niedergang der Textilindustrie mehr als wett zu machen.
Die Gemeinde Schlierbach in Oberösterreich hat durch mutiges, zeitgemäßes Bauen Regionalität und Nachhaltigkeit gefördert und Impulse für die Baukultur über die Landesgrenzen hinweg gegeben. Die Vorarlberger Gemeinden Langenegg und Zwischenwasser zeigen, dass Baukultur lange vor dem Bauen beginnt und auch weit darüber hinaus geht. Sie haben Maßstäbe bezüglich zeitgemäßem Umgang mit Energie, Ressourcen und Nachhaltigkeit gesetzt und zeichnen sich durch überaus engagierte Bürgerbeteiligung aus.
Wir bauen wie wir leben
"Im Bauen wird sichtbar, wie wir uns gesellschaftlich organisieren", sagt Roland Gnaiger und verweist darauf, dass das Einfamilienhaus für die Kleinfamilie mit reinem Ziergarten in einer Siedlung ohne Infrastruktur ein relativ junges Phänomen sei. Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren Häuser für mehrere Generationen und für Wohnen und Arbeiten gebaut. Der Garten diente der Grundversorgung, die Wege für Versorgung und Freizeit waren großteils kurz.
Die Siedlungsformen, die heute viele ländliche Gemeinden dominieren, sind ein Ausdruck getrennter Generationen, der Verlagerung der Arbeit und des Einkaufens an die Peripherie, dem Verlust an öffentlichen Räumen für die Dorf-Gemeinschaft und der Betonung des motorisierten Individualverkehrs.
All das ist mit großem Energieverbrauch verbunden. Erste Bestrebungen, diese Entwicklung wieder umzukehren bzw. neue Wege für Wohnen, Arbeiten, Gemeinschaft, Freizeit und Mobilität zu gehen, sind bereits sichtbar - zum Beispiel in den ausgezeichneten Baukultur-Gemeinden.
Kleine Schritte - große Wirkung
Im Gegensatz zur Architektur sei Baukultur etwas, zu dem jeder etwas beisteuern könne, betont der vorarlberger Architekt Roland Gnaiger. Die kleinste Bauaufgabe - und seien es nur ein Buswartehäuschen, eine Platzgestaltung oder die Renovierung des Gemeindeamtes - könnten der Anlass zur Veränderung sein.
Baukultur wird dann erreicht, wenn eine Bauaufgabe zum Beispiel nach ihrer räumlichen Wirkung, Nachhaltigkeit, möglichem Mehrfachnutzen, Verträglichkeit mit dem Bestehenden, Bedürfnissen der Gemeinschaft, Bedeutung für das Image eines Ortes oder dergleichen durchdacht, diskutiert und geplant wird. "Es gibt kein Rezept, aber es gibt einige Berater, und es gibt Ermutigungen, dass andere es auch geschafft haben", so Roland Gnaiger.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Dienstag, 27. Oktober bis Donnerstag, 29. Oktober 2009, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Zur Ausstellung erscheint das Buch "Landluft Baukultur-Gemeindepreis 2009" mit der Dokumentation der Preisträger-Gemeinden sowie Beiträgen von Barbara Feller, Roland Gruber, Roland Gnaiger, Thomas Moser, Helmut Mödlhammer, Erich Raith und Roland Wallner.
Veranstaltungs-Tipps
Preisverleihung des "LandLuft Baukultur-Gemeindepreis", Mittwoch, 4. November 2009, ab 18:00 Uhr, Festsaal der Technischen Universität Wien, Karlsplatz 13, 1040 Wien
Symposium, "Baukultur machen Menschen wie du und ich!" Zukunftsmodelle erfolgreicher Gemeindeentwicklung in ländlichen Räumen. Die Preisträger präsentieren ihre Erfolgsmodelle, Experten analysieren und diskutieren baukulturelle Phänomene.
Donnerstag 5. November 2009, 10:00 Uhr bis 18:45 Uhr und Freitag 6.November 2009, 10:00 Uhr bis 16:30 Uhr, Prechtlsaal der Technischen Universität Wien, Karlsplatz 13, 1040 Wien
Ausstellung, Die Siegergemeinden, Prechtlsaal der Technischen Universität Wien, Karlsplatz 13, 1040 Wien, 5. November bis 20. November 2009, 9:00 bis 20:00 Uhr
Die Ausstellung tourt danach zwei Jahre durch österreichische Gemeinden.
Link
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