Was Staaten feiern, wenn sie sich selber feiern
Kaisers Geburtstag und Sturm auf die Bastille
Jeder Staat braucht einen Nationalfeiertag, um sich als richtiger Staat zu fühlen. Dieser wird begründet mit Schlachten, Revolutionen, Rechtsverträgen oder blaublütigen Geburtstagen. Das nationale "Wir" braucht Inszenierung.
8. April 2017, 21:58
Die dramaturgischen Zutaten gleichen sich: Militärparaden, Fahnen, Hymnen, freier Eintritt in staatliche Museen. Die Bedürfnisse auch: Man will eine Gemeinschaft bilden. Nun braucht es einen "starken Grund zusammen zu sein". Deshalb hat jede Gemeinschaft ihre Legende, aus der heraus sie sich erzählt, gründet und begründet.
Das ist das Rezept, Identität zu entwickeln und damit Herrschaft zu legitimieren. Man besetzt die Nationswerdung mit einem Gründungsmotiv - einem kriegerisch-blutigen oder einem formal-bürokratischen Ereignis. Einige wenige Staaten lassen einen Regenten oder einen Heiligen stellvertretend hoch leben, um sich ihrer selbst zu vergewissern.
Konstrukt Nation
Bloß, wer ist eigentlich "man"? "Man" ist der Nationalstaat, jene "erfundene Gemeinschaft", die sich aus Menschen zusammensetzt, die sich zwar von Angesicht zu Angesicht nicht kennen, aber dennoch im Glauben leben, dass sie etwas verbindet. Gestiftet wird diese Idenität - neben Fußball, Skispringen, Biermarken oder Sprachen - durch symbolische Akte, etwa einem Nationalfeiertag. Der Rest ist Politik; jede Nation eine künstliche Konstruktion.
Memories are made of this...
Politische Rituale sollen Zugehörigkeitsgefühle wachrufen. In Diktaturen sind das die Wecker, die alle drei Stunden läuten, in westlichen Demokratien Statuten und Normen, die bei der Bildung ansetzen und im Sport enden. Was es braucht, ist die eine große "Meistererzählung", das nationale Narrativ, das aus den Brüchen der Geschichte eine Einheit gießt, mit der sich alle Staatsbürger und -bürgerinnen identifizieren können. Wenn diese symbolische Geschichte spaltet, ist die Herrschaft gefährdet.
Willkürlicher Kalendereintrag
Einige Staaten pflegen mehrere Nationalfeiertage. Malta zum Beispiel, eines der kleinsten Länder Europas, führt derzeit die Liste der Zerrissenen mit fünf nationalen Gedenktagen pro Jahr an; Österreich hat seinen immerhin fünf Mal im Laufe des 20. Jahrhunderts am Papier und in den Herzen geändert - rechnet man die Zeit als Hofratsnation mit kaiserlichem Landesvater mit ein.
Nationalfeiertage sind Monumente in der Zeit, die labiler sind als ihre offiziöse Inszenierung es vermuten ließe. Ein Datum unter staatlichem Erinnerungszwang, das schon mal gestrichen oder im Kalender verschoben wurde: Viele Länder wie etwa die Baltischen Staaten, Bulgarien und der Irak spannten künstliche Brücken über politische Systemwechsel hinweg zurück auf Inseln in der Zeit, die sie - ihrem aktuellen nationalen Selbstverständnisses nach - dereinst souverän gestaltet hatten.
Die meisten afrikanischen und asiatischen Staaten gedenken ihrer Unabhängigkeit von ihren Kolonialherren - dem nationalstaatlichen Muster freilich blieben sie verbunden. Wieder andere hoben sich ganz frisch aus der Taufe, wie etwa Kanada oder China. Revolutionen, Eroberungen, Pioniertaten gingen dem voraus. Nationalfeiertage jedenfalls zielen auf Innen- und Außenwirkung, der Nachbar soll ruhig sehen, wie man aufspielt im globalen Staatenkonzert.
Role Model Frankreich
Frankreich. 14. Juli 1789, der Sturm auf die Bastille. Die Hochburg monarchischer Willkür wird erobert; vier Urkundenfälscher, zwei Geisteskranke und ein Schriftsteller werden aus dem Kerker befreit, die Revolution nimmt ihren blutigen Lauf.
220 Jahre später hat diese Aktion nichts an Pathos verloren - mit viel "elan collectif" sorgte man für eine Neuordnung der Welt und das wird lebhaft erinnert, bombastisch gefeiert. Paris deliriert im nationalen Taumel, und die ganze Welt schaut neidig, live via TV, zu.
Düsenjets markieren den Himmel über der Champs-Elysees mit blau-rot-weißen Streifen, der Staatspräsident empfängt Ehrengäste, die Legionäre ziehen an den Massen vorbei, hintendrein - seit neuestem - auch Soldaten aus allen 27 EU Staaten. Abends mengen sich dann lokale Feuerwehrfeste zu dem staatlich-zentralistischen Theater. Dazu die üblichen Ingredienzien: Militärparade Feuerwerk, Hymnen, Konzerte und viel Fähnchen-Schwingerei. In Frankreich darf man das, auch ohne Anlass einer Fußball-WM oder EM.
Fingierte Geschichte
Was es braucht, neben der "einen" großen Erzählung, sind schlicht Zeit und Kontinuität, um Differenzen auszubügeln, sagt der Politologe Anton Pelinka. Für die Meister nationaler Selbstdarstellung, die Franzosen, gilt: Die Geister der geköpften Adeligen und terrorisierten Katholiken verblassten sukzessive hinter dem Universallabel der Menschenrechte wie hinter einem Werbebanner.
1848 wurden die Bourbonen entmachtet, 1945 das Vichy Regime entlarvt. Und ab da wächst die Geschichte zusammen. Heute treffen sich links und rechts geeint, Staatsbürger, Staatsbürgerinnen, Migranten und Migrantinnen zum Volksfest. Konsensuntaugliches wird, wie beim Münchner Oktoberfest, im dionysischen Rausch ertränkt.
Dass der Tag der sakralisierten Republik, der "Grande Nation" offiziell an das Föderationsfest am 14. Juli 1790 erinnert, weiß kaum jemand, - das ist nicht so sexy wie die brennende Bastille. Und letztlich auch egal. Man denke an die Schweizer: Die feiern am 1. August mit Glockenläuten, Höhenfeuern, Volkstanz und Lampionaufzügen sehr nett ein Ereignis, das nie stattgefunden hat: Den Rütlischwur.
Den haben sich die Bundesbürger im 19. Jahrhundert urkundlich zusammengereimt und weit, weit ins Jahr 1291 zurückgebogen. Historische Tiefe gibt dem nationalen Selbst größeren Halt und Gewicht, das wussten sie, die Schwyzer Eidgenossen.
Hör-Tipp
"Kaisers Geburtstag und der Sturm auf die Bastille", Montag, 26. Oktober 2009, 10:30 Uhr