Ein Buch mit Schönheitsfehler
Ralph Benatzky
"Im weißen Rössl", zu dem Ralph Benatzky den größten Teil der Musik verfasst hat, gehört zu den erfolgreichsten Bühnenwerken des Genres Operette. Trotzdem erfand Benatzky Erfolge. Ein neues Buch korrigiert die Aufschneidereien des Komponisten.
8. April 2017, 21:58
Max Reinhardt habe sein Schauspiel "Annerle" inszeniert, das Opernlibretto "Die Schmiedin von Kent" den Rompreis erhalten. Alexander Girardi sei 1919 in seinem Singspiel "Die Verliebten" aufgetreten. Seine Oper "Aria appassionata" habe es bis an das Metropolitan Opera House in New York gebracht, Zarah Leander habe in einem Film nach seiner Operette "Majestät privat" mitgewirkt - mit solch einer Leistungsschau versuchte sich der Komponist Ralph Benatzky 1940 in Amerika einzuführen.
Doch freilich war dies alles frei erfunden: vor der Presse hat Benatzky nicht selten mit Erfolgen geprahlt, die er gar nicht errungen hatte. Dabei war sein Wirken und Schaffen keineswegs erfolglos. Bis heute gehört das Singspiel "Im weißen Rössl", zu dem Benatzky den größten Teil der Musik verfasst hat, zu den erfolgreichsten Bühnenwerken des Genres Operette, Singspiele wie "Meine Schwester und ich" und "Bezauberndes Fräulein" sind nach wie vor als erfindungsreiche Werke der Spielart Kammeroperette bekannt und viele Nummern aus diesen und anderen Stücken sind längst als populäre Schlager um die Welt gegangen.
Aufschneidereien korrigiert
In seinem in diesem Jahr bei der Edition Steinbauer in Wien veröffentlichten Buch "Ralph Benatzky - Operette auf dem Weg zum Musical - Lebensbericht und Werkverzeichnis" zeichnet Fritz Hennenberg das Leben des 1884 in Mährisch-Budwitz geborenen und 1957 in Zürich verstorbenen Meisters der leichten Muse nach. Der Musikwissenschaftler, ein ehemaliger Lehrbeauftragter an der Leipziger Theaterhochschule und Chefdramaturg des Gewandhausorchesters und der Leipziger Oper, hat für die neue Monographie das Leben und Werk Benatzkys aus kritischer Distanz gesichtet und die Aufschneidereien des Komponisten des "Weißen Rössls" korrigiert.
Er zeichnet anschaulich und gut lesbar den Weg von Benatzky vom Wiener Kabarett über die Operette und die Revue bis hin zu seinen gelegentlichen Kompositionen für den Film. Hennenberg widmet sich ausführlich auch kaum mehr bekannten Werken und stellt ihre musikalischen und textlichen Besonderheiten dar, genauso wie er selbst bei einem Klassiker wie "Im weißen Rössl" eine Fülle von Informationen liefert, die weit über das allgemein bekannte hinausgehen.
Ängste und Selbstzweifel
Vor allem aber stützt sich Fritz Hennenberg in seiner Monographie auf die wichtige Quelle der Benatzky-Tagebücher, durch die man einen ganz anderen Menschen kennenlernt, als derjenige den Benatzky nicht selten der Öffentlichkeit vorgespielt hat. In seinen Tagebüchern erlebt man ihn als akribisch, als Mann mit Ängsten und Selbstzweifeln. Derart setzt sich ein sehr vielschichtiges, aber auch sehr divergierendes Bild des vielseitigen Multitalents Ralph Benatzky zusammen, war er doch nicht nur Komponist, sondern auch Librettist, Lyriker, Feuilletonist, Romancier, Drehbuchautor und Übersetzer.
Benatzky selbst hat das bis heute höchst erfolgreiche "Weiße Rössl" keineswegs als sein Hauptwerk angesehen, ihm ist es mehr um eine Weiterentwicklung der Kunstform Operette gegangen. Nicht die großen Glamour-Revuen waren sein eigentliches Metier, sondern - ganz innovativ für die damalige Zeit - die kleinen, fein gearbeiteten, geradezu kammermusikalischen Werke. Schauspiele mit Musik waren seine Absicht, die Operette aufzuwerten war sein Ziel, ihr schon damals in den 1930er Jahren eine Form zu geben, die heute vom Musical im musikalischen Unterhaltungstheater gebräuchlich ist.
Fundierte Künstlerbiographie
All dies erfährt man detailreich in Fritz Hennenbergs Buch, eine Veröffentlichung, die nicht nur auf 200 Textseiten das Leben von Benatzky eingebettet in das kulturelle, gesellschaftliche und politische Leben kenntnisreich erzählt, sondern zusätzlich auch ein Werkverzeichnis der Bühnenwerke, Filmmusiken, Chansons und Lieder mit zahlreichen Detailangaben bietet, ein ausführliches Literaturverzeichnis umfasst und sogar eine Diskographie, selbst wenn diese nur eine Momentaufnahme darstellen kann und schon beim Erscheinen überholt ist - im konkreten Fall fehlt beispielsweise die DVD-Ausgabe der "Im weißen Rössl"-Produktion von den Seefestspielen Mörbisch.
Schönheitsfehler
Fritz Hennenbergs Benatzky-Monographie präsentiert nicht nur eine fundierte Künstlerbiographie, sondern spiegelt auch anschaulich das musikalische Unterhaltungstheater in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider - das kartonierte, 15 Schwarz-Weiß-Abbildungen umfassende Buch der Edition Steinbauer hat nur einen Schönheitsfehler: in seinen Grundzügen bis hin zur Kapiteleinteilung und auch den größten Textteilen wurde es bereits vor über zehn Jahren im Wiener Zsolnay-Verlag unter dem Titel "Es muß was Wunderbares sein. Ralph Benatzky zwischen 'Weißem Rößl' und Hollywood" publiziert.
Für die jetzige Veröffentlichung wurde der Text zwar grundlegend überarbeitet und um den sehr informativen Anhang mit Werk- und Literaturverzeichnis ergänzt - den Hinweis, dass es sich um eine Überarbeitung eines älteren Werkes handelt, haben aber sowohl Autor als auch Verlag unterschlagen.
Hör-Tipp
Apropos Musik, jeden ersten Sonntag im Monat, 15:06 Uhr
Buch-Tipp
Fritz Hennenberg, "Ralph Benatzky - Operette auf dem Weg zum Musical - Lebensbericht und Werkverzeichnis", Edition Steinbauer