Ein anderer Blickwinkel
Wirtschaftsdenker: John Maynard Keynes
Die aktuelle Wirtschaftskrise wird oft mit der großen Depression der 1930er Jahre verglichen. Dieses Mal werden Staatseingriffe befürwortet, ganz im Sinne des Ökonomen John Maynard Keynes. Er entwickelte Rezepte, um den Kapitalismus in Krisen zu retten.
8. April 2017, 21:58
John Maynard Keynes entwickelte seine Theorien in den 1930er Jahren, in der Zeit der großen Weltwirtschaftskrise. Das größte Problem war die Massenarbeitslosigkeit. Ein Phänomen für das es in der klassischen Ökonomie keinen Platz und daher auch keinen Plan gab.
Wenn die klassische Theorie nur auf den Fall von Vollbeschäftigung anwendbar ist, ist es jedoch offenbar trügerisch, sie auf das Problem der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit anzuwenden.
Das schrieb John Maynard Keynes 1936 in seiner "General Theory of Employment, Interest and Money", zu Deutsch in seiner "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung des Zinses und des Geldes". Der britische Ökonom John Maynard Keynes revolutionierte die Wirtschaftswissenschaften, in dem er die Wirtschaft aus einem anderen Blickwinkel betrachtete.
Im Gegensatz zur klassischen Lehre, die davon ausging, dass der Markt der Summe aller Marktteilnehmer gleicht, vertrat Keynes die Ansicht, dass man nicht vom Einzelnen auf die Gesellschaft schließen darf. Wenn ein Mensch spart, hat er später mehr, man könnte sagen, er wird reicher. Wenn die Gesellschaft spart, statt zu investieren, wird sie ärmer, weil der Wirtschaftsprozess stagniert.
Die Bedeutung der Nachfrage
Die Konsumnachfrage, die Nachfrage nach Gütern, ging zur Zeit der großen Depression stark zurück. Nicht weil die Menschen nicht gerne konsumiert hätten, sondern weil sie kein Geld hatten, um sich zu kaufen, was das Herz begehrt. Hätten die Menschen mehr Geld, meinte Keynes, würden sie es ausgeben und so die Wirtschaft wieder ankurbeln.
Dieser Gedanke war neu. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass sich jedes Angebot seine Nachfrage generiert, da ohnehin Vollbeschäftigung herrscht. Wenn aber doch Arbeitslosigkeit auftritt, müssten einfach die Löhne gesenkt werden. Denn je niedriger die Löhne, desto eher können sich die Unternehmen leisten, Menschen einzustellen.
Keynes Überlegung ging in die entgegen gesetzte Richtung: Die Menschen müssen in Lohn und Brot sein, damit sie konsumieren können. Wenn man bei der Beschäftigung ansetzt, ergibt sich der Rest wie von selbst. In einer Radiosendung der BBC am 23. Mai 1939 erklärt John Maynard Keynes welche Hebelwirkung es hat, Menschen aus der Arbeitslosigkeit zu holen.
Die 150 Millionen Pfund werden vielen Menschen zu mehr Einkommen verhelfen. Nachdem die meisten von ihnen gewöhnliche Leute sind, werden sie das meiste davon ausgeben. Ihre Ausgaben werden wiederum Arbeitsplätze schaffen. Und so fort. Das Geld wird zirkulieren.
Der Multiplikatoreffekt
Wenn Menschen Geld verdienen, geben sie das meiste davon für Konsum aus. Es sei denn sie verdienen so viel, dass sie sich erlauben können zu sparen. Aber die Gefahr bestand zur Zeit der großen Depression nicht. Wenn also das Geld ausgegeben wird, führt das dazu, dass die Unternehmen, die die Waren produzieren, Menschen einstellen, um mehr produzieren zu können. Und so setzt sich die Aufwärtsspirale fort.
Es gibt auch einen Multiplikatoreffekt nach unten. Wenn die Investitionen der Unternehmen geringer werden, Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren und daher weniger konsumieren können, wird der geringere Konsum dazu führen, dass die Investitionen weiter stagnieren. Und so kommt die Abwärtsspirale in Gang. Das wollte man in der aktuellen Krise verhindern. Sehr rasch wurden Maßnahmenpakete geschnürt, um den Wirtschaftsmotor nicht absterben zu lassen.
Keynes ein Klassenkämpfer?
John Maynard Keynes, am 5. Juni 1883 in Cambridge geboren. Er wuchs als Sohn eines Wissenschaftlers im viktorianischen England auf. Er wurde ein Mann der Elite, ein studierter Philosoph, im Staatsdienst, der Wahrheit und dem englischen Königreich verpflichtet, aber auch an Kunst und Kultur interessiert. Was kümmerten ihn die Arbeitslosen? War er links? Ein Klassenkämpfer?
"Er hat selbst einmal gesagt, wenn zum Klassenkampf gerufen wird, steht er auf der Seite des Bürgertums. Er war also ganz bestimmt nicht links. Er wollte aber eine Welt, die er schätze erhalten und begriff, dass dies nur möglich wäre, wenn die Arbeitslosigkeit bekämpft würde", so Ewald Nowotny, Gouverneur der Österreichischen Nationalbank.
War Keynes Humanist?
Er war jedenfalls Ethiker, ein Moralist, erklärt Robert Skidelsky, Autor der profundesten Keynes Biographie.
"Er empfand Arbeitslosigkeit als großes moralisches Übel. Er war der Meinung, dass wenn man etwas dagegen tun könne, man handeln müsse. Es dachte es war nicht nur inhuman, sondern auch ineffizient. Sowohl aus einem moralischen, als auch einem ökonomischen Blickwinkel sollte man Arbeitslosigkeit nicht tolerieren", erzählt Robert Skidelsky.
Kapitalismus oder Sozialismus oder Faschismus?
Es ist heute schwer vorstellbar, aber in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts war der Eindruck weit verbreitet, dass der Kapitalismus am Ende ist. Denn die führenden kapitalistischen Länder, die USA und Großbritannien waren in lang anhaltenden, schweren Wirtschaftskrisen gefangen. "Zum Teil herrschte bei 25 Prozent der Bevölkerung Arbeitslosigkeit", berichtet Engelbert Stockhammer, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien.
"Die Frage war damals nicht Sozialismus oder Kapitalismus, sondern Faschismus oder Demokratie", erklärt Kurt Rothschild, Doyen der Österreichischen Wirtschaftswissenschaften.
Keynes wollte einen aufgeklärten Liberalismus, wo der Staat eine aktive Rolle einnimmt und wo die Frage der Arbeitslosigkeit nicht dem Markt alleine überlassen wird. Denn wenn die Kluft zwischen Arm und Reich, Zwischen Arbeitslosen und Gutverdienenden zu groß wird, wird es gefährlich. Wenn zur ökonomischen Krise eine soziale hinzukommt, ist das politischer Zündstoff. John Maynard Keynes Denken wird immer dann aktuell, wenn es brennt.
Der Zusammenhalt der Gesellschaft als Wirtschaftsziel
John Maynard Keynes war kein Klassenkämpfer, er war nicht links und er befürwortete den Sozialismus keineswegs. Er wollte den Kapitalismus mit all seinen Vorteilen für die Eliten retten. Er erkannte aber, dass die Aufrechterhaltung des Kapitalismus nur möglich ist, wenn der Zusammenhalt der Gesellschaft gegeben ist.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit war daher das zentrale Ziel. In seiner Radioansprache am 23. Mai 1939 erklärt er das Experiment, über Rüstungsausgaben Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, für eröffnet. Und schloss seine Rede mit den Worten: "Wenn wir Arbeitslosigkeit mit Aufrüstung bekämpfen können, dann können wir sie auch mit dem produktiven Ziel, Frieden zu erreichen, heilen. Möge Gutes aus Schlechtem entstehen. Lasst uns lernen, es wird nützlich sein, sobald der Frieden da ist."