Unschuldig in Guantánamo

Verkauft

Ein paar Uiguren hatten die Unterdrückung durch China satt und wollten in den Westen. Auf dem Weg überrascht sie der US-Angriff auf Afghanistan im Herbst 2001. Sie fliehen nach Pakistan, werden dort für Geld an die US-Streitkräfte verraten und landen in Guantanamo.

Ahmed Adil, Ayub Haji, Akhdar Basit und Abu Bakr Qasim sitzen im Oktober 2001 in einem Bergdorf im Osten Afghanistans fest. Insgesamt warten dort 21 Uiguren, die der Repression durch das chinesische Regime und der Arbeitslosigkeit im westchinesischen Xinjiang entflohen sind. Ihre Familien wollen die Männer später nach Europa oder in die USA nachholen.

Was beginnt wie Millionen Migrantengeschichten, endet im US-Gefangenenlager Guantánamo Bay auf Kuba. Der Krieg verhindert die Weiterreise der Männer in den Westen. Am 7. Oktober 2001 werfen US-Flugzeuge die ersten Bomben auf Afghanistan ab.

Verkauft von freundlichen Dorfbewohnern

"Enduring Freedom", die Invasion der US-Streitkräfte, zwingt die Gruppe, ins angrenzende Pakistan zu fliehen. Dort werden sie von einer schiitischen Dorfgemeinde herzlich empfangen und am darauf folgenden Tag an die US-Streitkräfte verkauft. 5.000 Dollar pro Person beträgt das Kopfgeld. "Die USA waren verzweifelt auf der Suche nach Mitgliedern von al-Qaida und versprachen hohe Summen für verdächtige Personen", erklärt Manfred Nowak, der UN-Sonderbeauftragte gegen Folter.

Die Wunden sind bis heute sichtbar

Der Gemüsehändler Akhdar erinnert sich noch genau an seine erste Begegnung mit US-Soldaten: "Das war im Lager in Kandahar. Die Soldaten waren alle zwei Meter groß und hatten Uniformen. Wir mussten uns vor ihnen ausziehen, und dann haben sie begonnen uns zu schlagen." Nur ein einziges Mal werden die uigurischen Männer in Kandahar verhört und trotzdem werden Abu Bakr und die anderen ins Lager Guantánamo Bay ausgeflogen. "Auf dem Flug dorthin schnitten die Fesseln tiefe Wunden in meine Haut. Nach einiger Zeit haben sie begonnen, stark zu eitern, und ich bin ohnmächtig geworden." Die Narben an Abu Bakrs Körper sind heute noch sichtbar.

Odyssee nach der Freilassung

Das Gefangenenlager in Guantánamo Bay wird 2002 von der US-Armee errichtet, um verdächtige Personen aus dem Afghanistan- und später dem Irak-Krieg auf unbestimmte Zeit festhalten zu können. Nach Informationen des US-Außenministeriums gelten von den über 700 Inhaftierten höchstens 50 Personen als gefährlich.

Jahrelang forderte Manfred Nowak die Freilassung unschuldiger Gefangener: "Die Gruppe uigurischer Männer ist nie in die Nähe einer Anklage gekommen." Im November 2004 erklärt ein Militärtribunal die Uiguren für ungefährlich. Es findet sich vorerst aber kein Staat, der bereit ist, sie aufzunehmen. Erst nach 16 Monaten bietet Albanien, ein enger Verbündeter der USA, fünf Uiguren Asyl an.

Erinnerungen an die Isolation

Wenn Ayub Haji heute bei einem Glas Cola in einem Teehaus in Tirana von seiner Odyssee erzählt, lacht er immer wieder laut auf, als ob ihn seine eigene Vergangenheit erschreckt. Acht Monate der insgesamt sechs Jahre in Guantánamo Bay verbringt Ayub in Isolationshaft. Im Jahr 2002 war Ayub 17 Jahre alt. Schlagen, Spucken, Urinieren sowie allgemeiner Widerstand gegen Befehle des Wachpersonals ist in Ayubs Gefangenenregister protokolliert. "Sie hielten mich fest und verabreichten mir Injektionen, worauf ich das Bewusstsein verlor. Ich wachte erst in der Zelle wieder auf. Man glaubt Isolationszellen sind dunkel, aber das stimmt nicht. Sie sind 24 Stunden mit künstlichem Licht ausgeleuchtet und es ist eiskalt."

Rücksicht gegenüber China

Heute sitzen noch 13 uigurische Männer mit derselben Geschichte in Guantánamo Bay. Ihre Zukunft wurde zum internationalen Politikum. Die USA lehnen es ab, die Männer aufzunehmen, da es unmöglich erscheint, sie gerade in jenem Land zu integrieren, für das sie lange Zeit als Bedrohung galten. Auch die EU-Staaten zeigen bislang wenig Bereitschaft, die Uiguren aufzunehmen. Individuelle Sicherheitsbedenken und vor allem die diplomatischen Beziehungen zu China werden dafür als Beweggründe angegeben.

China möchte die Uiguren unbedingt zurück. Die Regierung in Peking verlangt die Auslieferung der Männer, da sie in China unter Verdacht stehen, uigurische Separatisten zu sein. "Die Chinesen glauben, dass wir Terroristen sind, weil wir geflüchtet sind und in Guantánamo Bay waren. Wir würden dort mit Sicherheit eingesperrt, deshalb wollen wir nicht zurück." Der 36-jährige Ahmed Adil will seine Vergangenheit vergessen und hat sich damit abgefunden, seine Frau und seine Töchter nicht wiederzusehen. Ahmed will eine Zukunft haben und sei es jene eines Pizza­Bäckers in Tirana.

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