Düstere, spannungsintensive Vorahnung
Symphonie mit dem Paukenwirbel
Die letzten "Londoner Symphonien" gehören seit vielen Jahrzehnten zum wichtigsten Orchesterrepertoire. 1795 komponierte Haydn in London die "Symphonie mit dem Paukenwirbel". Der Beginn des ersten Satzes im Interpretationsvergleich.
8. April 2017, 21:58
Haenchen, Hickox, Vegh
Während es bei den früheren Symphonien noch möglich ist, möglichst vollständig alle repräsentativen Einspielungen vorzustellen, ist das ab den Londonern ein Ding der Unmöglichkeit. Gerade die letzten "Londoner Symphonien" gehören seit vielen Jahrzehnten zum Repertoire aller Orchester. Ein Auswählen ist geboten, das Beschränkung notwendig macht. Im Visier daher: Sie Symphonie Nr. 103.
Spannungsfördernder Beginn von einsamer Größe
In den Noten steht nur eine blanke Fermate. Leise grollend, im decrescendo verebbend, wie eine Maschinengewehrsalve, sehr deutlich akzentuiert, auf zwei Tonhöhen wirbelnd, nahtlos ins geheimnisvolle Unisono der Fagotte, Violoncelli übergehend, düstere, spannungsintensive Vorahnung auf das kommende. Sehr unterschiedlich kann dieser in der klassischen Literatur erstmalige, völlig offene Paukeneinsatz sein.
1795 komponierte Haydn in London die "Symphonie mit dem Paukenwirbel" in Es-Dur; es ist seine vorletzte Symphonie. Unter dem Paukenwirbel steht in den Noten "Intrada", was soviel bedeutet wie "Einzugsmusik für eine hochrangige Person". In Haydns Symphonie betritt die Musik selbst die Bühne und erobert nach und nach das Terrain.
Wie Cornflakes mit Wasser
Wenn man die Noten des zweiten Satzes der Symphonie Nr. 103 in Es-Dur, der mit dem Paukenwirbel, nur so spiele, wie sie da stehen, das Tempo nur "Andante" nehme und den Zusatz "più tosto allegretto" vernachlässige, dann sei das wie Cornflakes mit Wasser, ohne Milch, Obers oder Zucker, meint Roger Norrington: Absurd! Ein Nahrungsmittel, aber ziemlich ungenießbar.
Wie kann man Kontraste herausarbeiten? Das eben muss eine Interpretation herausarbeiten, leisten, die Fragen klären: Wie lang oder kurz sind die Noten? Schrieb Haydn Staccato-Punkte oder Tenuto-Striche? "Diese Vielfalt und Lebendigkeit, so Norrington, ist bei ihm außerordentlich wichtig; dann wird seine Musik elektrisierend lebendig. Wenn man sie in etwa richtig spielt, wirkt sie nur ziemlich langweilig. Doch wenn man sie sehr gut spielt, wirkt sie unschlagbar!"
Haydn als Vorbild
Themen aus der Volksmusik Kroatiens und Ungarns hat Haydn in das andante più tosto allegretto (und auch in den vierten Satz) einfließen lassen. Manche Wissenschaftler glauben, dass Beethovens Trauermarsch in der "Eroica" vom zweiten Satz dieser Symphonie in Es-Dur inspiriert sei.
Hören Sie in unserem Audio Hartmut Haenchen und das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach, Richard Hickox mit dem Collegium Musicum 90 und Sandor Vegh mit der Camerata Academica Salzburg - jeweils mit dem Beginn der ersten Satzes der Symphonie Nr. 103.
Hör-Tipp
Ausgewählt, Mittwoch, 11. November 2009, 10:05 Uhr
Übersicht
- Interpretationen