Eine Nacht für seltsame Musik
Musik aus der DDR
In diesen Tagen weniger bekannt und mehr verdrängt ist die Tatsache, welch entscheidende politische Rolle Musik in der DDR zu spielen hatte; und zwar jede Musik, Neukomponiertes genauso wie an den Westen angelehnte Schlager.
8. April 2017, 21:58
Seltsam. Aber im Zuge oft auftretender und dann manchmal geradezu schon jenseitiger DDR-Nostalgie heute spielt Musik eine Randbereichs-, dann aber eine ziemlich intensive Rolle. Es gibt Bewunderungs-Symposien für den Stalinismus-Heros Hanns Eisler, man klagt offen über die Lage kleiner Musiktheater in den Bundesländern, welche sich jetzt auch einer ästhetischen Konkurrenz stellen müssen, und in den Medien greift man gern einmal auf die biederen Ostblock-Shows und die damalige Schlagerwelt zurück. Das ist lieb und vor allem eine Kanalisierung von Alltagsfrust in noch immer sogenannten Neuen Ländern.
Weniger bekannt und mehr verdrängt ist allerdings die Tatsache, welch entscheidende politische Rolle Musik in der DDR zu spielen hatte; und zwar jede Musik, Neukomponiertes genauso wie an den Westen angelehnte Schlager. Da wurden nach '68 den Leuten die neue Kantate "Dank' euch, ihr Sowjetsoldaten" verordnet, da hat man Kinderliedersammlungen mit Verherrlichungen von Volks- und Militärpolizei distribuiert, Beethoven ist offiziell als einer der Formulierer der "antifaschistischen, antiimperialistischen, klassenkämpferischen humanistischen DDR" gefeiert worden, den West-Pop hat man gefiltert und mit anderen Texten versehen.
Von Sammlern gerettet
Viel wurde nach 1989 verschwiegen, weggeräumt. Viel ist aber in Anthologien neu ediert, von Sammlern gerettet, in Archiven bewahrt worden. In einer Nacht, die sich in den Ö1 Jahresschwerpunkt "1989 - 20 Jahre danach" fügt, werden Streifzüge, vor allem durch die U-Musik-Landschaft von 40 Jahren unternommen, wobei in diesem Land ja niemals ein prononcierter Unterschied innerhalb der Musik-"Klassen" zugelassen wurde, anders als im Westen.
Da gibt es krampfhafte und durchaus an den Faschismus erinnernde Bemühungen der Staatskünstler/innen, Musik für alle Werktätigen zu schreiben, da erklingen Musiken, die in scheinbarer Fröhlichkeit den Alltagskommunismus verkünden, und travestierte West-Schlager, die über die vorgeblichen Todesdrohungen der Westdeutschen oder der Amerikaner erzählen.
Arbeiten - Singen - Kämpfen
Allein, das wären aus heutiger Sicht eben Skurrilitäten in einer Ideologie-Gesellschaft, welche sich in aller mörderischen Aggression sukzessive sowieso selbst aufgehoben hat. Doch kaum mehr für uns realisierbar ist die Tatsache, dass da mitten in Europa nach der Kulturpolitik des Nationalsozialismus dieselben Musik-Spielarten weitergeführt worden sind. "Arbeiten - Singen - Kämpfen", so heißt etwa eine Schallplatte der Ära. Oder, wenn es ähnlich den alten HJ-Liedern dann plötzlich FDJ-Chöre gab, mit einem zum Mitsingen anbefohlenen Tenor für jene, die sonst an den Grenzen erschossen wurden: "Wir sind die freie deutsche Jugend". Oder gar in Aufhebung jeglichen dialektischen Denkens: "Die Partei, die Partei, die hat immer recht."
Etwas seltsam wird es im Frühjahr 1988, wenn uns - und das war gar nicht mehr Underground oder Westinfiltration - plötzlich Lieder hingeworfen werden, die beinahe wie ein Protest-Song daherkommen: "Wenn Leute unser Land verlassen", der Duktus: Was wollt ihr denn woanders? Bei uns ist es doch am sichersten. Wir werden als Land (sic 1988) noch existieren, wenn ihr schon lange nicht mehr seid. Aber, bitte, geht! Solche Menschen brauchen wir nicht!
Hör-Tipp
"Vom ersten Eisler bis zum letzten Schlager", Musik aus der DDR, Freitag, 13. November 2009, 23:03 Uhr
Übersicht
- Wendejahr 1989