Patenschaften für unbegleitete Minderjährige

Nicht die Menschheit, einen Menschen retten

Die "Patenregelung" für integrierte Ausländer im neuen Bleiberecht ist nach wie vor umstritten. Schon jetzt aber tun Freiwillige viel, um unbegleiteten Jugendlichen ein besseres Leben zu ermöglichen. Die Sendung wurde mit dem Hilfswerk-Preis ausgezeichnet.

Am 10. Oktober 2005 ist Hassan aus Afghanistan nach München gekommen. Unter einem LKW. Irgendwann nach Tagen oder Wochen, Hassan weiß es nicht, ist seine Odyssee am Ende. Die Polizei schickte ihn in eine Containerunterkunft für Flüchtlinge.

16 Jahre war er und Analphabet. Sein Vater ist gestorben. In Afghanistan musste er als Schaf- und Ziegenhirte arbeiten. Zur Schule konnte er nicht gehen.

Leseübungen im Nobelviertel

Drei Jahre später. Er kann nicht nur Deutsch sondern auch lesen und schreiben. An einem kalten Mittwoch fährt er mit dem Bus in das Münchner Nobelviertel Bogenhausen. Ein Weg, den er beinahe jeden Mittwoch zurück legt.

Eine Frau, Deutsche, Mitte 60, energische Statur, mütterliches Gesicht, wartet auf ihn. Es ist Ilsedore Zopfy. Sie ist unverheiratet, war ihr ganzes Leben lang mit ihrem Beruf verheiratet, wie sie sagt.

Als sie in Pension gegangen ist, hatte die ehemalige Krankenschwester und Geschäftsführerin des deutschen Berufsverbandes Zeit übrig. Jetzt ist Ilsedore Zopfy ehrenamtliche Patin bei Nesola. Mit Hilfe eines Kinderbuches übt sie mit Hassan laut lesen und erklärt ihm alle Vokabel, die er nicht kennt.

Für Zopfy ist klar: der junge Bursch hätte ohne sie kaum eine Chance: "Natürlich kann man sagen, was ist das schon, wenn einem Migrantenjungen geholfen wird, bei den Tausenden, die da jährlich nach Deutschland kommen. Aber trotzdem, dem einen hilft es."

Jemanden, der sie in den Mittelpunkt stellt

Nesola ist eine Einrichtung der Caritas. Ein Containerdorf auf einer Verkehrsinsel mitten in München. Links und rechts pfeifen die Autos vorbei. In der Mitte hinter einem hohen Zaun spielen Kinder.

In den Containern reiht sich eine Tür an die andere. Davor stehen Schuhe, Flaschen und Mülleimer. Durch die dünnen Blechwände hört man nicht nur Musik, sondern auch jedes Wort. Hier leben neben Familien, auch mehrere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Nesola will den jugendlichen Flüchtlingen mit Paten helfen. "Die Jungs brauchen einfach jemanden, der sie in den Mittelpunkt stellt", erklärt Bettina Pereira, Caritas-Sozialpädagogin im Projekt Nesola, "denn wir Betreuer und Betreuerinnen können nur für alle gemeinsam etwas machen oder uns um ganz bestimmte Probleme kümmern."

Zu der Idee mit den Patenschaften hat sie das Wiener Netzwerk Connecting People inspiriert, sagt Pereira.

Genervt von "Ausländer-Raus-Sagern"

Connecting People wurde vor acht Jahren gegründet. Das Projekt wird von der Stadt Wien und dem österreichischen Roten Kreuz unterstützt. Rund 180 ehrenamtliche Paten und Patinnen hat das Projekt mit Flüchtlingskindern ohne Begleitung mittlerweile zusammengebracht.

Maria und Attila Kovacs sind zum Beispiel eine solche Patenfamilie. Sie ist Buchhalterin, er in Pension. Beide leben in Wien Josefstadt. Die eigenen Kinder sind bereits aus dem Haus.

"Für uns ist das hier ein politisches Statement", erklärt Maria Kovacs, "es hat im Jahr 2000 mit der Schwarz-Blauen Regierung begonnen, mit diesen ständigen Ausländer-Raus-Sagern. Das hat mich auf die Dauer so dermaßen genervt, dass ich das Bedürfnis hatte, irgendetwas Konkretes zu tun. Und da sah ich die Anzeige von Connecting People."

Ihr Patenkind Wahid wurde ihnen zugeteilt. Sie haben ihn zunächst am Jugendamt getroffen, mit einem Wörterbuch unter dem Arm. Wahid kommt aus Afghanistan und wollte unbedingt schnell Deutsch lernen.

Bald wussten die Kovacs': Wenn er es schaffen soll, auf die Hauptschule zu kommen, dann müssen sie täglich mit ihm lernen. Und ein paar Monate später schafften sie das alle gemeinsam auch. 14 Jahre war er, als er nach Österreich gekommen ist. Mittlerweile hat er eine Lehrstelle als Schuster gefunden. Sein Chef ist höchst zufrieden mit ihm.

Der Staat wälzt Verantwortung ab

Für die Paten und Patinnen stellt der Austausch auch eine Bereicherung in ihrem Leben dar, betonen sie. Ihre Arbeit ist aber schon längst nicht mehr einfach nur ein Hobby oder Selbstverwirklichung. Ohne Paten wie die Familie Kovacs und Frau Zopfy geht es gar nicht mehr, erklärt Bettina Pereira von Nesola.

Doch es gibt auch Skepsis: Sollen private Bürger die Lücken ausfüllen, die im Sozialstaat entstehen? "Politiker haben die Verantwortung für diese jungen Menschen aufgegeben, um Stimmen bei der nächsten Wahl zu bekommen", beklagt Attila Kovacs. Er und seine Frau haben dem Staat einiges an Integrations- und Bildungsarbeit abgenommen, betonen sie, "aber es gibt kein Entgegenkommen, ja nicht einmal Verständnis dafür."

Paten werden haftbar gemacht

Und die Verantwortung könnte demnächst dramatisch vergrößert werden. Denn die Patenschaften von Connecting People zum Beispiel sollen demnächst eine neue Qualität bekommen. Droht die Abschiebung eines Zuwanderers, so sollen nach den Plänen von Innenministerin Maria Fekter Paten für ihren Schützling bürgen.

Das ist ein ziemlicher Happen, kritisiert Heinz Fronek von der Asylkoordination, der Connecting People betreut: "Der Staat putzt sich an seinen Bürgern und Bürgerinnen ab. Die Aufnahme von Asylwerbenden ist eigentlich Aufgabe des Staates." Man wolle hier einzelnen Personen Dinge aufbürden, die für nicht bewältigbar seien.

Was, wenn das Arbeitsamt dem Schützling nicht erlaubt, zu arbeiten? Dann muss der Pate für den gesamten Lebensunterhalt aufkommen. Was, wenn der Schützling in Schubhaft kommt? Auch dafür muss der Pate finanziell geradestehen. "In so einem Fall können mehr als 100.000 Euro zusammenkommen", sagt Fronek.

Hör-Tipp
Journal Panorama, Montag, 16. November 2009, 18:25 Uhr

Link
Asylkoordination - Connecting People