Von der Antike bis zur Gegenwart
Schönheit
Wo Schönheit draufsteht, ist das Interesse der Allgemeinheit groß. Jetzt hat sich der Philosoph Konrad Paul Liessmann des Themas angenommen, er hat zuletzt auch das Philosophicum Lech unter das Motto "Vom Zauber des Schönen" gestellt.
8. April 2017, 21:58
Es scheint fast so, als übe das Sprechen über die Schönheit eine ähnliche Faszination aus wie die Schönheit selbst. In den letzten Jahren jedenfalls wurde der Buchmarkt mit Titeln, die sich dem Thema Schönheit widmen geradezu überschwemmt. Soziologische Studien über Schönheitspraktiken, empirische Untersuchungen der Attraktivitätsforschung, praktische Ratgeber und kulturkritische Essays.
Der Diskurs über die Schönheit ist vielstimmig, denn: Wo Schönheit draufsteht, sind hohe Auflagen drin. Jetzt hat sich der Philosoph Konrad Paul Liessmann des Themas angenommen. Schönheit gehört für Liessmann zu den zentralen Begriffen des europäischen Denkens. Mit seinem aktuellen Buch legt Liessmann eine konzise Zusammenfassung der Begriffsgeschichte des Schönen vor und widmet sich den Bruchlinien und Kontinuitäten, die die Schönheitsdebatte von der Antike bis zur Gegenwart bestimmt haben.
Die Begriffsgeschichte des Schönen
"Schönheit gehört zu den gleichermaßen umstrittenen wie unhintergehbaren Begriffen der europäischen Kultur", meint Liessmann im Gespräch. "Schönheit bestimmt in hohem Maße Erotik und Sexualität, Schönheit grundiert die Ziele und Wunschvorstellungen unserer Lebenspraxis und Schönheit dominiert als zentrale Norm die Ästhetik der Kleidung und das Design der Gebrauchsgegenstände. In der Kunst galt Schönheit lange Zeit als das entscheidende Ziel menschlicher Kreativität. In der Philosophie war die Schönheit seit der Antike der Korrespondenzbegriff zum Guten und zur Wahrheit, gehörte also zu jener Trias, die den abendländischen Bildungsbegriff bis ins 19 Jahrhundert bestimmte."
Drei zentrale Fragestellungen seien es, um die die philosophische und kulturwissenschaftliche Schönheitsdebatte kreist, sagt Liessmann: Die Frage was das Schöne, das keinem Nützlichkeitskriterium entspricht, überhaupt ist. Die Frage, wie das Schöne – etwa in der Kunst – hervorgebracht werden kann und jene Frage, die die aktuelle Schönheitsdiskussion dominiert: Die Frage nach der Schönheit des menschlichen Körpers.
Schön und gut
Von Anfang an ist die Schönheitsdebatte von der platonischen Gleichung, die das Schöne mit dem Guten kurzschließt, geprägt. Seit der Antike werden physische Attraktivität und moralisch-sittliche Qualitäten zusammengedacht. Eine Vorstellung, die sich nicht nur in der Physignomik des 18. Jahrhunderts wieder findet, die von Gesichtszügen auf Charakterzüge schließen wollte.
Auch die zeitgenössische Attraktivitätsforschung untermauert, dass attraktiven Menschen öfter positive Eigenschaften zugeschrieben werden. Schon schöne Kinder, so heißt es, erhalten mehr Zuwendung, attraktive Erwachsene haben es nicht nur bei der Wahl eines Sexualpartners leichter, sondern auch am Arbeitsmarkt bessere Chancen. Und in manchen Berufsfeldern gehört ein ansprechendes Äußeres geradezu zur Jobdescription. Doch nicht erst heute ist die Arbeit am Körper ein zentraler Teil unserer kulturellen Praktiken, betont Konrad Paul Liessmann.
Das Modellieren des Körpers
"Soweit wir zurückgehen in die Geschichte, Körperbemalungen, Ornamentierungen, Körperveränderungen, Piercings finden wir schon bei frühen Kulturen und in fast allen Kulturen", so Liessmann. "Das hat natürlich verschiedenste Gründe. Es geht sicher nicht nur darum, attraktiv zu erscheinen, sondern das hat auch kommunikative, kulturelle und rituelle Gründe. Denn Körper ist auch ein Kommunikationsorgan. Aber mit der zunehmenden Möglichkeit der technischen Modellierung des Körpers bekommt diese immer schon vorhandene Tendenz, einen Körper als etwas Anderes erscheinen zu lassen, als er von Natur aus sein mag, eine qualitativ neue Intensität."
Wer den sogenannten Schönheitswahn und Körperkult der gegenwärtigen Gesellschaft kritisiert, darf nicht vergessen, dass das Modellieren des Körpers in der Geschichte der menschlichen Zivilisation fest verankert ist. Kleidung, Schminke und Frisur dienten immer auch dazu, die Illusion der Schönheit zu erzeugen. Kleidungsstücke wie zum Beispiel die Krinoline, das Korsett, Epauletten oder Schulterpölster sollten den Körper formen und verformen.
Im Spiegel wechselnder Moden und Schönheitsnormen erscheint die Geschichte des menschlichen Körpers als Geschichte einer ästhetischen Stilisierung, die darauf abzielt, nichts im quasi-natürlichen Zustand zu belassen. Mit den Versprechen der ästhetischen Chirurgie und in Zukunft möglicherweise auch der Gentechnik erreicht die Manipulation des Körpers aber eine neue Dimension. Als Ungerechtigkeit der Natur wird Schönheit landläufig bezeichnet. Folgt man dieser Lesart, steht die moderne Schönheitschirurgie im Dienste einer demokratischen Umverteilung.
Chirurgie im Dienste der Umverteilung?
"Diese durch verfeinerte chirurgische Technologien möglich gewordenen Veränderungen könnten auch unter der Perspektive gesehen werden, dass Menschen, die von der Natur etwas weniger mit Attraktivität bedacht worden sind, Schönheit auf künstlich-technische Art und Weise erhalten können", meint Liessmann. "Die Debatte, wie wir im sozialen und kulturellen Umfeld damit umgehen, ist noch im Fluss. Mir fehlt noch so ein bisschen der öffentliche und ehrliche Diskurs darüber, was Schönheit für uns tatsächlich bedeutet und wie wir mit diesem sozialen Druck, der nicht zuletzt von der Schönheitsindustrie ausgeht umgehen können."
Als Ausblick seines Buches über die "Schönheit" beleuchtet Konrad Paul Liessmann die brisante Diskussion über den chirurgisch und gentechnisch transformierten Designer-Körper. Neue Antworten auf die ethischen Fragenstellungen, die dieses Phänomen aufwirft, wird man zwar nicht finden, dafür informiert Liessmann über den Status quo wissenschaftlicher Diskussionen. Neben diesem aktuellen Bezug wird der Schönheitsbegriff auch aus einer historischen Perspektive beleuchtet. Aspekte wie das Verhältnis von Schönheit und Kunst, das entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung erst mit der zunehmenden Autonomie der Künste in der Renaissance ein Thema geworden ist, werden ebenso beleuchtet wie die Bedeutung der Schönheit in der Werbung und im Design.
Auch wie sich große Philosophen und Denker dem Begriff der Schönheit genähert haben, erfährt man zumindest in groben Zügen: Platon, David Hume, Immanuel Kant, Friedrich Nietzsche, Charles Darwin und Sigmund Freud, das sind nur einige wenige der Namen, die auf gerade mal 105 Seiten erwähnt werden. Dass bei dieser Themenvielfalt nur ein Überblick vermittelt werden kann, versteht sich von selbst. Als leserfreundliche Einführung in die Begriffsgeschichte der Schönheit will Konrad Paul Liessmann sein neuestes Buch verstanden wissen. Als solche kann es auch empfohlen werden.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Im Gespräch, "Wie wollen wir denn nun sein: stark, schön und erfolgreich - oder edel, hilfreich und gut?", Konrad Paul Liessmann und die Soziologin Waltraud Posch zu Gast bei Michael Kerbler, Donnerstag, 19. November 2009, 21:01 Uhr
Buch-Tipp
Konrad Paul Liessmann, "Schönheit", Uni-Taschenbücher