Ein Stammbaum mit großen Lücken

Woher wir kommen

Schon Charles Darwin vermutete den Ursprung des modernen Menschen in Afrika. Heute suchen Paläoanthropologen in Afrika nach Überresten unserer Vorfahren, um aus ihnen die Hominidenentwicklung der letzten sieben Millionen Jahre zu rekonstruieren.

Mit seinem Spätwerk "Die Abstammung des Menschen" stellte Charles Darwin den Menschen endgültig in eine Abstammungslinie mit dem Affen. Die ersten Neandertalerknochen waren damals schon entdeckt, von der Entwicklung des Homo sapiens wusste man jedoch noch wenig. Ebenfalls Darwin war es allerdings, der schon vermutete, dass der Ursprung des modernen Menschen in Afrika zu suchen sei.

Heute suchen Paläoanthropologen in Süd-, Ost- und Zentralafrika nach Überresten unserer Vorfahren, zum Teil in Höhlen, tief unter der Erde, teilweise aber auch einfach im Wüstensand. Die Fossilien werden von ihren Findern oft gehütet wie Gralsschätze. Aus ihnen versuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Hominidenentwicklung der letzten sieben Millionen Jahre zu rekonstruieren, von den ersten menschenähnlichen Vorfahren bis zum modernen Menschen, dem Homo sapiens sapiens.

Fossilien aller Art

Galili, östliches Äthiopien. Hier in der Afar-Senke hat ein internationales Wissenschaftlerteam unter Leitung österreichischer Anthropologen sein Lager aufgeschlagen, um nach Fossilien zu suchen. Die Forscher interessieren sich grundsätzlich für alles: für Fossilien von früheren Schweine- oder Elefanten-Arten ebenso wie die von Affen- oder Raubkatzenarten. Und ganz besonders interessieren sie sich natürlich für Überreste menschlicher Vorfahren, für Hominiden-Fossilien, den Traumfund jedes Paläoanthropologen.

Ihre Chancen, fündig zu werden, stehen im Prinzip nicht schlecht. Nicht weit von hier, ein bisschen im Norden, auf der anderen Seite des großen Flusses Awash, wurde vor 15 Jahren ein aufsehenerregender Fund gemacht. Tim White, Paläoanthropologe von der University of California, Berkely, hat mit seinem Team hier vor einigen Jahren das Teilskelett eines menschlichen Vorfahren entdeckt: Ardipithecus ramidus, kurz "Ardi".

Ardipithecus ramidus, kurz "Ardi"

Ardi lebte vor viereinhalb Millionen Jahren im Wald, war ein Weibchen, hatte eine Greifzehe, konnte schon aufrecht gehen und sah einem modernen Schimpansen viel weniger ähnlich als gedacht - genug Gründe, ihre Entdeckung in einer der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften zu beschreiben.

Daran zweifelt niemand. Als das amerikanische Fachjournal "Science" Bilder von den Fossilien und die Erkenntnisse, die sich darum ranken, im Oktober 2009 veröffentlichte, erstaunte die Art und Weise, wie das passierte, dennoch einige.

Normalerweise werden einer wissenschaftlichen Neuigkeit weniger als zehn Seiten gewidmet - Ardi und seiner Welt werden auf über 50 Seiten beschrieben. Übertrieben findet das Robert Martin. Der Paläontologe vom Chicago Fields Museum und Mitherausgeber der "Cambridge Encyclopedia of Human Evolution" kritisiert, dass die wenigen Funde, die es aus der frühen Evolution des Menschen gibt, meistens überinterpretiert werden.

Mehr Stammbusch als Stammbaum

2001 wurde im Tschad ein etwa sieben Millionen Jahre alter Schädel gefunden. Er erhielt gleich einen eigenen Gattungsnamen, Sahelanthropus, und einen Spitznamen "Toumai".

Von Sahelanthropus über Ardipithecus, Australopithecus und noch ein paar andere bis hin zum ersten Auftreten der Gattung Homo vor zwei Millionen Jahren - der Gattung, zu der auch wir modernen Menschen gehören - vergingen rund fünf Millionen Jahre.

Fünf Millionen Jahre, und aus allen paar einhunderttausend Jahren ein Fossil. Je weiter zurück in der Zeit, desto größer werden die Altersabstände zwischen den einzelnen Funden. Das reicht nicht, um daraus einen zusammenhängenden Stammbaum zu rekonstruieren, sagen viele Wissenschaftler und sprechen, wie auch Robert Martin, eher von einem "Stammbusch".

Mehr zu Ardi in science.ORF.at

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 23. November bis Donnerstag, 26. November 2009, 9:05 Uhr

Link
Science - alle Unterlagen zu Ardi