Die Geschichte

Interaktivität

"Interaktivität" ist ein zentraler Begriff im Bereich der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Interaktivität ist auch ein zentrales Wesensmerkmal von Computerspielen, E-Learning-Programmen und beim Produktdesign digitaler Geräte.

Für den deutschen Politikwissenschaftler Claus Leggewie ist Interaktivität ein "Schlüsselwort der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien", das gemeinhin "ihre spezifische Differenz und den Vorsprung gegenüber den 'alten' Print-, Ton und Bildmedien" markiert.

Leggewie hat 2001 gemeinsam mit dem Sprach- und Computerwissenschaftler Henning Lobin auch das "Zentrum für Medien und Interaktivität" (ZMI) an der Justus-Liebig-Universität in Gießen ins Leben gerufen. Ziel des ZMI ist es seit der Gründung, medienbezogene Forschung abseits der klassischen Medienwissenschaft zu betreiben und Interaktivität etwa auch aus sozial-, politik-, wirtschafts- und rechtswissenschaftlicher Perspektive aus zu betrachten.

Ein vieldiskutierter Begriff

Auch der Begriff Interaktivität selbst und seine Geschichte sind ein Forschungsgegenstand am ZMI - von der Sprechakttheorie nach Austin und Searle in den 1950er und 1960er Jahren, die den Begriff der Aktion in die Linguistik und in die Kommunikationsforschung einführte über interaktive Systeme in der Informatik in den 1960er und 1970er Jahren bis zur Diskussion rund um die Einführung des Kabelfernsehens in den 1980er Jahren, bei der die Rückkanalfähigkeit und das Versprechen eines "interaktiven Fernsehens" eine wichtige Rolle spielte.

Populär wurde der Begriff Interaktivität dann mit der Verbreitung des Internet in den 1990er Jahren. Damals von einem ähnlichen Nimbus umgeben wie etwa "virtuelle Realität" und andere Modebegriffe der aufkommenden Neuen Medien. Doch konnte der Begriff der Interaktivität die damals geweckten Erwartungen seitdem auch erfüllen?

Wurden die Versprechen erfüllt?

Henning Lobin vom "Zentrum für Medien und Interaktivität" meint: Ja. Auch wenn der Begriff mittlerweile nur mehr selten verwendet wird, so erkennt er interaktive Handlungsabläufe aktuell etwa in sozialen Netzwerken wie Facebook und auch in Online-Diskussionsforen - in beiden Fällen findet Kommunikation und Interaktion zwischen Menschen statt, die im Hintergrund von intelligenten Maschinen vermittelt und organisiert werden. Auch die Art, wie wissenschaftliche Arbeit mittlerweile stattfindet, ist für Lobin stark interaktiv geprägt:

"Hatte ein Wissenschafter früher sein Team, einzelne Korrespondenzpartner oder einen Informationsaustausch auf Konferenzen, so gibt es heute zahllose Wissenschafterblogs, auf denen auch schon Zwischenergebnisse aus der Forschungs- und Laborarbeit publiziert werden und das Feedback und die Kritik der Wissenschafter-Community darauf in der Folge in die weitere wissenschaftliche Arbeit einfließen."

Neue Formen der Interaktion

Neue Formen der Kommunikation und Interaktion zwischen Wissenschaftlern anregen möchte auch die interaktive Design-Agentur "Strukt" in Wien. Das "Strukt"-Team um Andreas Koller, Thomas Hitthaler und Tanja Tomic hat dazu den "Struktable" entwickelt, einen Multitouch-Tisch, um den bis zu zehn Personen Platz nehmen können.

Die Oberfläche des Tisches besteht aus einem Bildschirm, über den gleichzeitig Daten - Texte, Bilder, Audio und Video - abgerufen und auch untereinander zugeschoben werden können. Die Hoffnung des "Strukt"-Entwicklerteams ist, dass diese kollektive und interaktive Benutzeroberfläche einmal dazu dienen kann, Wissenschaftler bei der gemeinsamen Aufarbeitung komplexer Daten zu unterstützen, etwa im Verkehrswesen oder in der Medizin.

Interaktivität und Textproduktion

Mit dem Thema Interaktivität beschäftigt sich auch die Wiener Kultur- und Medienwissenschaftlerin Sabine Prokop in ihrer Forschungstätigkeit, wenngleich in einem etwas anderen, da erweiterten Zusammenhang. Prokop forscht über Textproduktion, wobei sie den Begriff "Text" dabei so versteht wie in der Sprachwissenschaft und in den Cultural Studies üblich: als Überbegriff und als Summe der medialen Impulse und subjektiven Eindrücke, mit denen ein Medienkonsument ständig interagiert.

Ein besonderer Forschungsschwerpunkt von Sabine Prokop gilt dabei dem Fernsehen. Dieser Tage hat sie auch ein Buch zum Thema veröffentlicht: "Bevor Big Brother kam. Über das Fernsehen am Ende des 20. Jahrhunderts" (Praesens Verlag, Wien 2009). Darin befasst sie sich mit der Bildersprache und der Erzählweise von Fernsehen, die anders als beim Film oftmals nicht mehr linear ist.

Speziell im Jugendfernsehen und bei Sendern wie MTV beobachtet sie "eine Auflösung der zentralperspektivischen Konstruktion der Renaissance, die im Fotoapparat, in der Kamera und in der Projektion auf einen Bildschirm eingeschrieben ist".

Neue Blickwinkel

Durch die Interaktion mit elektronischen und digitalen Medien wird nicht nur die klassische Projektion von Inhalten verdrängt, es verändern sich zugleich auch die Blicktechniken der Benutzer.

Diese blicken oft nicht mehr durch die Kamera, sondern auf sie. Etwa auf eine Webcam oder auf die Kamera, die im Handy eingebaut ist - häufig zu beobachten vor allem bei jüngeren Menschen, die bei einem Ereignis nicht mehr das Ereignis als solches, sondern sich selbst als Teil des Ereignisses fotografieren und dokumentieren.

In solchen neuen medialen Gesten erkennt Sabine Prokop einen Bruch mit althergebrachten, sehr zielgerichteten und letztlich auch männlich geprägten Blick- und Erzähltechniken und ein Aufkommen neuer, medial vermittelter Formen von Interaktion.

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Die Angewandte - Sabine Prokop "Bevor Big Brother kam"
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