Paradiesische Zustände?

Mythos Südsee

Mutmaßungen über die Existenz einer Terra Australis incognita verbanden sich oft mit Visionen von der Existenz ferner Erdenbewohner. Entrückt von den Sorgen der alten Welt, so glaubte man, genössen diese Menschen ein unbeschwertes Inseldasein.

Die Tausenden, abgelegenen Inseln im Südpazifik eignen sich hervorragend als Projektionsfläche für autonomes, freies, naturverbundenes, oder wenn man so will unentfremdetes Leben. Schließlich sind kleine, in sich abgeschlossene Entitäten ideale Orte für die Verwirklichung der einen oder anderen Utopie.

Der edle Wilde

Auf einer üppigen Tropeninsel ist auch der berühmte edle Wilde zu Hause. Zumindest in der Vorstellung des Popstars unter den französischen Philosophen des 18. Jahrhunderts, Jean Jaques Rousseau. Dessen 1755 erschienene "Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen" sollte ziemlichen Einfluss auf das europäische Bewusstsein ausüben.

Der edle Wilde wurde gar zur zentralen Vorstellung der europäischen Ideengeschichte. Man habe das Natürliche, das Kreatürliche verloren, so der Tenor. Mit der "Entdeckung" der Südsee glaubte man, den Idealzustand glücklicher Menschen, die in Frieden und Eintracht und ohne privates Eigentum lebten, gefunden zu haben.

Goethes Tahiti-Traum

"Man sollte oft wünschen auf einer der Südsee-Inseln als so genannter Wilder geboren zu sein, um nur einmal das menschliche Dasein ohne falschen Beigeschmack, durchaus rein zu genießen", lässt sich sogar Goethe vom edlen Wilden-Fieber anstecken - wohl nicht zuletzt angestachelt durch die euphorischen Reiseberichte der "Entdecker".

Liebes-Inseln

Allen voran der Weltumsegler Louis Antoine de Bougainville, der im Jahr 1768 auf Tahiti landet. Er stellt Neu Khytera, wie er das wunderschöne Eiland nennt, in die Reihe jener südlichen Liebes-Inseln, die in der Literatur der Renaissance besungen wurden. Mit dem Unterschied, dass in der Südsee tatsächlich la franchise de "l'age d'or", die Freizügigkeit des goldenen Zeitalters herrschte. Brot wuchs auf den Bäumen und eingeborene Mädchen erwiesen europäischen Ankömmlingen unbefangen ihre Gunst und luden sie zur Liebe ein.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, die wir getroffen hatten, kam ein junges Mädchen an Bord, ging zum Achterdeck und stellte sich unterhalb der Winde an eine Luke, die man offen gelassen hatte, um für die Besatzung frische Luft herein zu lassen. Sie ließ ungeniert ein kleines Röckchen fallen, das sie bedeckt hatte, und stand vor aller Augen da wie Venus, als sie sich dem Paris zeigte. Sie hatte einen göttlichen Körper.

Brandos Utopie

Kein Wunder, dass sich angesichts solcher Schilderungen ganze Schiffsmannschaften ins Meer warfen, um auf Tahiti, Fidschi, Samoa und Co. an Land zu gehen und dort zu versuchen, eine utopische Gesellschaft ohne Neid, Missgunst und Mühsal aufzubauen. So wie einige Matrosen der Bounty in Buch und Film das versucht haben. Der Hauptdarsteller des Meuterei-Technicolor-Schinkens aus den 1950er Jahren, Marlon Brando, hat immerhin nicht nur seine inselschöne Filmpartnerin geheiratet, sondern sich gleich eine ganze Südseeinsel gekauft. Noch kurz vor seinem Tod soll er verfügt haben, dass seine Asche in seiner Lieblingsbucht verstreut werde.