30 Jahre Revolution Rock
London Calling
Am 14. Dezember 1979 veröffentlichte die britische Punk-Band The Clash ihre drittes Album: "London Calling". Es gilt als Meilenstein der Popmusik. Das einflussreiche Magazin "The Rolling Stone" wählte die Platte zum besten Album der 1980er Jahre.
8. April 2017, 21:58
"The Clash waren eine außergewöhnliche Band. So etwas wie sie gab es vorher nicht und auch nach ihnen nicht mehr." Deswegen habe der Musikjournalist Pat Gilbert, so sagt er, ein dickes Buch über die Band geschrieben. Die wahre Geschichte der Clash nämlich, so lautet der Untertitel seiner umfassenden Biografie "Passion is a fashion" aus dem Jahr 2005.
"Die Band hatte eine politische Dimension und auch eine moralische. Und das ist eher selten im Rock. Nicht, dass die Clash nicht auch ihren Anteil an Sex, Drugs and Rock 'n' Roll genossen haben, dennoch gab es da etwas kulturell Fundiertes."
No more R 'n' B
The Clash werden im heißen Londoner Sommer des Jahres 1976 gegründet. Joe Strummer, der 24-jährige Kopf der Hausbesetzer-R 'n' B 101ers-Band kommt bei einem Konzert der wüsten und aggressiven Sex Pistols mit der aufkeimenden Punkbewegung in Berührung. Die Sex Pistols sind schnell, angriffslustig und machen sich über Kleinigkeiten wie musikalische Fähigkeiten oder guten Geschmack herzlich wenig Sorgen.
Als sie die Bühne verlassen, merkt Joe Strummer, dass er kein großes Interesse mehr daran hat, abgehangenen Rock 'n' Roll mit langen Soli zu spielen. Ein paar Tage später wird er von Bernie Rhodes, der mit dem Manager der Sex Pistols zusammenarbeitet, angesprochen. Rhodes macht ihm den Vorschlag, die 101ers zu verlassen und in eine neue Band einzusteigen.
Die Entscheidung
Bei einem Treffen stellt Strummer fest, dass die neue Band bisher nur aus zwei Gitarristen besteht. Dem dünnen Keith Levine und einem Typen mit echtem Rockstar-Potenzial: Mick Jones. Die beiden suchen einen Sänger und einen Schlagzeuger. Als Bassist haben sie schon den attraktiven Paul Simonon ins Auge gefasst, den sie von der Kunsthochschule kennen. Der hat zwar keine Ahnung vom Bass spielen, sieht aber dafür gut aus.
Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Strummer nur einen Blick auf die beiden Spinner geworfen, die da auf dem Bett saßen und ihn anstarrten und sich umgedreht. Aber nicht an diesem 31. Mai 1976. Er hatte kurz zuvor eine ganz neue, mitreißend ungewöhnliche Band gesehen und jetzt war eine Entscheidung fällig. "Als ich Mick und Keith in diesem besetzten Haus traf", erinnerte sich Strummer später, "sahen wir uns einmal an und dann sagte Bernie Rhodes: Das ist der Typ, mit dem du später mal Songs schreiben wirst. Mick zog daraufhin eine Grimasse. Und ich dachte: Naja, ich hab wohl keine Wahl. Ich muss das machen." Strummer sagte ja. The Clash waren geboren.
(David Quantick, "The Clash")
Befruchtendes Verhältnis
"Das Verhältnis zwischen Mick Jones und Joe Strummer ist eine dieser entscheidenden Beziehungen, die man in allen großen Bands findet. So wie Roger Daltrey und Pete Townshend bei den Who oder Lennon/McCartney bei den Beatles", erklärt der Clash-Kenner Pat Gilbert, der Joe Strummer, aber vor allem Mick Jones im Laufe der Recherchen für sein Buch sehr gut kennen gelernt hat. "Sie waren ganz verschiedene Menschen. Man kann fast sagen, es war ein Clash, ein Zusammenprall ihrer Persönlichkeiten. Ich glaube nicht, dass einer von ihnen je mit einem anderen Typen solche Musik gemacht hätte."
Clash bedeutet Zusammenprall
Das erste Konzert der Clash fand am 4. Juli 1976 als Vorgruppe der Sex Pistols statt. Im Februar 1977 unterschrieben sie einen Major-Vertrag mit CBS Records, und kurz darauf erschien die erste Single "White Riot" sowie das Album "The Clash".
Die Texte der Clash spiegelten die Situation der multikulturellen Gegend wider, in der die Band-Mitglieder in besetzten Häusern wohnten. Ladbroke Grove, Portobello Road, West London. So bezieht sich "White Riot" auf Zusammenstöße zwischen der Polizei und karibischen Einwohnern des Viertels, die beim traditionellen Notting Hill Carnival 1976 aufeinander prallten. Joe Strummer wollte so wie die Schwarzen auch seine Randale, eben einen weißen Krawall.
Auf und Ab
Das Jahr 1977 ging für The Clash erfolgreich zu Ende: Man fand mit dem vom Jazz kommenden Topper Headon einen ausgezeichneten Schlagzeuger, es gab eine erfolgreiche Tournee und die großen Konkurrenten Sex Pistols lösten sich auf.
1978 war kein gutes Jahr für die Clash. Mit der von einem US-amerikanischen Hard-Rock-Spezialisten produzierten Platte "Give 'Em Enough Rope" wurde man nicht glücklich. Schließlich feuerten sie ihren Manager und Quasi-Erzeuger Bernie Rhodes. Erst eine Tournee durch die USA im Jahr 1979 brachte den erneuten Aufschwung, der schließlich in "London Calling" gipfeln sollte.
Produktionslegenden
Die Produktion der Platte ist mit einer Reihe Legenden und Mythen behaftet. Der exzentrische Produzent Guy Stevens soll während der Aufnahmen Bier ins Klavier geschüttet haben, um den Sound zu verbessern, Mick Jones fast mit einer Leiter erschlagen haben und Joe Strummer durch Hypnose zu "Right Profile" animiert haben - einer Hommage an den 1966 verstorbenen US-amerikanischen Schauspieler Montgomery Clift.
Schmelztiegel in Doppel-Vinyl
Das Album war definitiv ein Kind seiner Zeit und wohl auch deshalb so erfolgreich, betont Biograf Pat Gilbert. Die Band hatte sich erstens musikalisch weiterentwickelt. Zweitens sind da die verschiedenen Musikstile. Alle waren Fans von schwarzer Musik, Soul, Reggae, Funk. Als Punk dann explodiert war und Clash die Dominanz harter Gitarren hinter sich gelassen hatten, kamen ihre musikalischen Vorlieben aus Prä-Punk-Zeiten immer mehr zum Vorschein.
Es ging der Band darum, die Dinge zu vermischen, kulturell, ethnisch. Das Album ist darum ein mächtiger, starker Schmelztiegel von Schwarz und Weiß, erschienen zu einer Zeit, als Hautfarbe in England ein Riesenthema war.
Clash und Kulturwandel
Für Pat Gilbert geht die Bedeutung der Platte weit über die Musik und deren positive Rezeption hinaus. Er geht soweit, den Clash und "London Calling" eine bedeutende Rolle in der multikulturellen Weiterentwicklung Englands zuzuschreiben.
Rassismus war Ende der 1970er Jahre ein heißes Thema und die Band kam daher und sagte, es sei falsch, rassistisch zu sein. "Sie warben für eine multiethnische, multikulturelle Vision von England. Und das finde ich ist sehr wichtig, denn wir leben jetzt in der Multi-Kulti-Welt, die 'London Calling' vorhersagt. Jetzt, früher war das nicht so, da gab es Krieg in den Straßen und in den Köpfen der Menschen. Die Clash waren diesem Kulturwandel dienlich, denke ich."
Hör-Tipp
Radiokolleg, Mittwoch, 9. und Donnerstag, 10. Dezember 2009, 9:45 Uhr
Link
The Clash