Trend zu Sopranen und Mezzosopranen

Opernstars von morgen

Blick in die Opernzukunft: Wie klingen die Finalistinnen und Sieger bei ein paar der wichtigsten Gesangswettbewerbe des Jahres 2009: bei der Operalia, beim Königin-Sonja-Musikwettbewerb, beim Concours de Genève und beim ARD-Musikwettbewerb?

Jung-Mi Kim singt Donizetti

Große Freude in Bonn an der Oper, wo die gebürtige St.Petersburgerin Julia Novikova gerade noch Ensemblemitglied ist: Sie kam im September mit einem der ersten Preise beim Operalia-Gesangswettbewerb 2009 heim. Das Budapester Finalkonzert dirigierte der Wettbewerbs-Gründer und -Mentor Placido Domingo selbst, der in den 17 Jahren, die es die Operalia bereits gibt, wahrlich sein Teil geleistet hat, damit es mit der Oper weitergeht. Julia Novikova ist Koloratursopranistin, aus Leo Delibes' "Lakmé" stammte ihr wichtigstes Vortragsstück.

Auch in Genf beim Concours de Genève hat vor ein paar Wochen eine Sopranistin gewonnen: die Ungarin Polina Pasztircsak, 27 Jahre alt, mit Meisterkursen unter anderem bei Mirella Freni in der bisherigen Biographie, aber - außer für Countertenöre ungewöhnlich bei "normalen" Gesangswettbewerben - mit Händel im Gepäck fürs Wettbewerbs-Schlusskonzert und mit Richard Strauss.

Einer der Trends bei Gesangswettbewerben in letzter Zeit: Soprane und Mezzosoprane dominieren, gute Tenöre, Baritone, Bässe muss man mit der Lupe suchen. Bei der Competizione dell'Opera in Dresden gingen beispielsweise 2009 alle fünf Preise an Soprane.

Rauhbeinstimmen am Vormarsch?

Ein weiterer Trend: Korea ist groß im Kommen. Drei von sechs der im Genfer Finale Angetretenen kam von dort, und auch der Gewinner des Königin-Sonja-Wettbewerbs in Oslo war Koreaner: Seung-Gi Jung. An ihm lässt sich eine andere Tendenz bei vielen Wettbewerbs-Juryentscheidungen der vergangenen Jahre ablesen: Oft machen robuste, aber anonyme Rauhbein-Stimmen das Rennen, die man vom Finalkonzert weg in ein mittleres deutsches, französisches, nordeuropäisches Opernhaus engagieren und ohne weiteren Feinschliff in den "Betrieb" werfen könnte - "Systemerhalter"!

Der 30-jährige Seung-Gi Jung klingt schon heute so, als hätte er Jahrzehnte harten Bühnendienst hinter sich. Sind markige Baritone (Jung machte das Rennen mit dem "Bajazzo"-Prolog und dem Posa) derart Mangelware geworden?

Vorzeige-Wettbewerb Operalia

Die Opern-Newcomer: Wer von ihnen wird im Opernalltag wirklich seinen Weg machen? Fast eine Berufs-Erfolgsgarantie ist die Teilnahme im Finale von Placido Domingos Operalia geworden: Von Dimitra Theodossiou bis Ludovic Tézier, von Inva Mula bis Ana Maria Martinez, von Kate Aldrich bis Joseph Calleja und Arturo Chacon-Cruz hat ein Großteil der jungen Sängerinnen-, Sänger-Generation bei der Operalia entweder gewonnen oder zumindest in den Finali auf sich aufmerksam gemacht.

Und es spricht sehr für die Operalia und für das Niveau, das dort durch die vielen internationalen Vor-Auswahlen erzielt wird, dass die prominente Operalia-Jury eben nicht Brüllern und Stemmern den Vorzug gibt, sondern - wie in Person eines weiteren ersten Preisträgers in Budapest, dem Tenor Alexey Kudrya - lyrischen Stimmen mit Potenzial. Wer in Klagenfurt ins Stadttheater geht oder in St.Pölten ins Festspielhaus, kennt den Namen Alexey Kudrya schon; auch mit René Jacobs durfte er bereits arbeiten - ganz jung noch, schlank, schwarze Lockenpracht.

Intendanten-Wunschtraum

Ein typischer Fall von 2009: Die Australierin Anita Watson nahm beim "Operalia"-Finale zwar teil, erhielt aber keinen Preis, auch keinen der zahlreichen Zusatz- bis Trostpreise. Aus München vom ARD-Musikwettbewerb, Sparte Gesang, durfte sie dann mit dem einzigen ersten Preis heimfahren. Eine üppige, "große", schon jetzt Vibrato-selige Stimme, Marke "The big lady sings". Anita Watson singt heute "Freischütz"-Agathe. Bald wird es Richard Wagner sein, für ein paar Jahre.

Ähnlich die Amerikanerin Jacquelin Wagner, die beim norwegischen Königin-Sonja-Wettbewerb als Fiordiligi auftrumpfte, als gälte es der "Tannhäuser"-Elisabeth. Wollen, brauchen wirklich alle Opernhäuser vor allem "dramatische" Stimmen, am liebsten 25-jährige Isolden? Geht der Trend beim Mozart-Singen nicht längst in eine ganz andere Richtung? Welchem Klangideal folgen die, die Karrieren machen?

"Anna-Bolena"-Nachwuchs aus Genf

Erfreulich war heuer in Budapest, Oslo, Genf und München, dass sich die Jurys nicht nur die ewigen Abfolgen von Rosinas, Juliettes, Gildas, Olympias haben anhören müssen. Den Vogel abgeschossen bei der Auswahl eines Wettbewerbs-untypischen Vortragsstücks hat in Genf beim Concours de Genève diesen November die am Ende Zweitplacierte, die aus Seoul stammende Jung-Mi Kim: Wer traut sich in solchem Rahmen schon über die Schlussszene der Anna Bolena aus der Oper von Gaetano Donizetti drüber, für die Maria Callas, Joan Sutherland, Montserrat Caballé, Edita Gruberova die Latte hoch gelegt haben?

Würde Jung-Mi Kim schon heute in genau dieser Liga antreten, sie sänge nicht in Genf vor, sondern reiste von der MET nach London, von Paris nach Amsterdam. Sie hat genau dort zu arbeiten, wo auch für Belcanto-erprobte Sopranistinnen die Schwierigkeiten stecken, aber wie es ihr gelingt: Hut ab! Die Stimme "stimmt" - jetzt müssen "nur" noch die Nerven halten und das Glück mitspielen, das Glück, im richtigen Moment am richtigen Ort an die richtigen Leute zu kommen.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 10. Dezember 2009, 15:06 Uhr

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