Die Wiege des Erdöls

Zwischen Bohrturm und Wehrturm

Die Gemeinde Neusiedl an der Zaya galt als das "Dallas" des Weinviertels: Hunderte Gittertürme prägten in der Blütezeit der Erdölförderung die Landschaft. Einige dieser stählernen Zeugen dieser Epoche hat man für die Nachwelt erhalten.

Gustav Madera über die "Wiege des Erdöls"

Der Steinberg ist die höchste Erhebung des östlichen Weinviertels. Die Anhöhe ist flankiert von Windrädern und Pumpenböcken - Ölsonden, die unermüdlich Erdöl aus dem steinigen Boden saugen. Am Fuße des Steinbergs liegt die Gemeinde Neusiedl an der Zaya: "Wiege des Erdöls" steht auf der Ortstafel, "Wein, Öl und Brot" ist die Botschaft des Ortswappens. Das Öl machte die verschlafene Gemeinde in den 1960ern zur wohlhabenden Ortschaft. Man leistete sich das erste Hallenbad der Region, eine Minigolfanlage, ein Freibad, großzügig unterstützte man Vereine und Infrastruktur.

Ein Gentleman am Förderturm

Richard Keith van Sickle, ein rumänischer Bohrfachmann mit britischem Pass und kanadischen Wurzeln, wurde 1938 im Zayatal fündig. Ein Jahr später musste er Österreich verlassen, bohrte für die britische Armee nach Wasser in der libyschen Wüste, und kehrte erst 1946 zu seinen Ölfeldern zurück. Die wurden inzwischen von der russischen Besatzungsmacht ausgebeutet: Erdöl aus Neusiedl floss als Kriegsentschädigung Richtung Russland. Erst 1955 bekam Van Sickle seine Bohrung zurück und ließ das schwarze Gold zu seinem und zum Wohle der Bevölkerung sprudeln. Dabei bewegte er sich am Förderturm genauso elegant wie am diplomatischen Parkett, schwärmt man in der Erdölgemeinde. Fotos von Van Sickle hängen heute noch in Gast- und Amtsstuben.

Don Quichote beim Gitterturm

Heute ist das Erdöl in Neusiedl am Versiegen. Damit versiegt auch eine wichtige Geldquelle: Das Hallenbad wurde wegen Einsturzgefahr geschlossen, das Erdölmuseum ist mittlerweile selbst renovierungsbedürftig. Geschichtsbewusste Bürger retteten schließlich einige der Fördertürme vorm Verschrotten und stellten sie am historischen Erdölgelände wieder auf. Zu ihren Füßen initiierte der Tischler und Künstler Gustav Madera ein internationales Bildhauersymposium, das die "Feuerlandskulpturen" schuf - Kunstwerke aus Holz, Eisen und alten Ziegelsteinen, die rund um die Türme platziert sind. Auch wenn sie scheinbar wie eiserne Ritter gegen die Fördertürme ankämpfen, stärken sie das Bewusstsein um die historische Bedeutung dieses Ortes.

Gruß vom Mittelalter

In der Nachbargemeinde Palterndorf rettete man einen steinernen Zeugen des Mittelalters vor dem Verfall: Bürgermeister Nowohradsky ließ einen Wehrturm aus dem 15. Jahrhundert renovieren, mit einem begehbaren Holzgerüst ausstatten und stellte ihn für kulturelle Aktivitäten zur Verfügung.

Der Wehrturm im Ortszentrum - er war Fluchtturm für die Bevölkerung, die sich darin vor einfallende Horden aus dem Osten schützte - ist für Besucher geöffnet; er dient einer Künstlergruppe zur Präsentation ihrer Exponate, er bildet den Hintergrund für Theateraufführungen, Kirtag und Sommerkino, und ist Aussichtsplattform mit einem Wind geschützten Panoramablick über Weinberge und Marchauen.

Wein, Brot und Blut(wurst)

Im Weinkeller von Michael Martin in Neusiedl an der Zaya wird nicht nur der typisch pfeffrige Grüne Veltliner verkostet. Der innovative Winzer keltert auch den Wein seines prominenten Nachbarn: Gemeinsam mit Hermann Nitsch - der Aktionskünstler ist im benachbarten Prinzendorf daheim - holte er eine alte, beinah vergessene Institution der Kellergasse wieder aus der Versenkung: Michael Martin macht für Nitsch einen einfachen Bauernwein und füllt ihn in der guten, alten Doppelliterflasche an. Laut Nitsch ist der Doppler "die schönste Plastik der Welt".

Auch wenn das untere Zayatal keine touristische Region mit durchgängig geöffneten Heurigen ist - die eine oder andere Kellertür ist immer offen.

Links
Dorfkreis - Feuerlandskulpturen
Wehrturm Palterndorf
Weingut Martinshof