Zu Besuch in der Klavier-Manufaktur Bösendorfer

Die Welt in 88 Tasten

Auch wenn das Klavier in den Wohnzimmern immer seltener wird, das edle Musikinstrument ist aus der Musik-Welt nicht wegzudenken. Eine der traditionsreichsten Herstellerfirmen ist die in Österreich ansässige Klaviermanufaktur Bösendorfer.

András Schiff spielt auf einem Bösendorfer. Manches, sagt der ungarische Pianist, müsse ganz einfach auf einem Bösendorfer gespielt werden und auf keinem anderen Klavier. Haydn, Mozart, Beethoven - und vor allem Schubert. Aber: Achtung! Diese Wiener Spitzenklaviere zu bändigen, das erfordert Fingerspitzengefühl. András Schiff warnt vor Grobheiten: "Wenn Sie einen Bösendorfer schlagen, schlägt er zurück!"

Diejenigen aber, die ihn beherrschen, den großen Flügel, die schlägt er in seinen Bann: Es gebe Klaviere, behauptete zum Beispiel Joe Zawinul, und es gebe Bösendorfer. Tatsächlich spielen im Spitzenfeld der Pianoforti nur ganz wenige Klavierbauer mit: Eigentlich zählen da nur Bösendorfer und die US-Firma Steinway - und vielleicht noch Fazioli. Aber die Italiener sind im Vergleich zu den beiden Erstgenannten noch unverschämt jung, gerade einmal 30 Jahre. Bösendorfer hingegen schreibt seit fast 200 Jahren Musikgeschichte - handgefertigt in Wien und in Wiener Neustadt.

Der gute Ton

Ignaz Bösendorfer gründete das Unternehmen im Jahr 1828. Damals gehörte Klavierspielen zum gutbürgerlichen Ton, und in jedem Salon stand ein Piano. Allein in Wien versorgten an die 150 Klaviermanufakturen die Nachfrage. Die Bösendofer-Klaviere spielten sich sehr schnell an die Spitze. Vor allem, als Franz Liszt bevorzugt in Bösendorfer-Tasten zu hauen begann.

Mit seinem berüchtigt gewalttätigen Spiel hatte der damals angesagteste Klaviervirtuose ungezählte Saitenkästen der Konkurrenz schlichtweg demoliert. Nur die Bösendorfer hielten seiner Spielweise Stand, und Liszt bedankte sich galant: "Die Vollkommenheit eines Bösendorfer übertönt meine idealsten Erwartungen."

Reichlich Know-how

Bis aus diversen Hölzern, aus verschiedenen Metallen, aus Filz und noch allerlei ein Bösendorfer entsteht, ist viel Arbeitsaufwand und vor allem Know-how erforderlich. Denn heute wie damals werden die Klaviere vorwiegend in Handarbeit hergestellt.

Erich Weiguni, seit 30 Jahren bei der Firma, kennt als Konzerttechniker jeden Handgriff und jedes Geheimnis. Einer der wesentlichen Werkstoffe, erklärt Weiguni, sei natürlich das Holz. Die rohen Bretter werden im Freien gelagert, bei jeder Witterung. Je Zentimeter Brettstärke zumindest ein Jahr.

Damit nicht genug. Das Holz kommt anschließend in die Trockenkammer. Feuchtegehalt, Dichte - alles muss passen. Ebenso die gegossenen Metallrahmen, die müssen auch mindestens ein halbes Jahr abliegen, um alle Spannungen abzubauen. Dann wird geschliffen, gekittet, poliert, lackiert - so lang, bis sich die Oberfläche anfühlt wie glatte Seide. Der Rahmen ist eine der Visitenkarten des Klaviers - und er leistet Schwerstarbeit. "Je nach Modell kommen später immerhin zwischen 13 und 18 Tonnen Saitenzug drauf, die der Rahmen dann über Jahrzehnte halten muss, und zwar konstant", erklärt Weiguni.

Gewölbter Resonanzboden

Aber erst braucht das Klavier eine Raste. Das ist der hölzerne Rahmen unter dem metallenen. Und es benötigt eine Kastenwand: Genau - das ist der elegant geschwungene Teil des Flügels, an dem später die Sängerinnen lehnen werden. Die Montage dieser Kastenwand erfordert neben millimeterfeiner Genauigkeit auch einiges an Muskelkraft.

Das Klavier beginnt jetzt Form anzunehmen. Eine Bösendorfer-Spezialität kommt jetzt dazu: der gewölbte Resonanzboden mit seinen Rippen.

Jedes Detail dient in letzter Konsequenz nur einem: dem perfekten Klang. In der Welt der Spitzenmusiker herrscht Einigkeit darüber, dass der nur aus einem Bösendorfer oder einem Steinway kommt. Was man lieber hat, ist Geschmacksache, wie Kurt Brunthaler ausführt. Er ist Profimusiker, leitet eine Bigband und unterrichtet den Klaviernachwuchs. "Es gibt überhaupt keine Diskussion darüber, dass es im Vergleich Steinway - Bösendorfer einen großen Unterschied gibt, doch nicht weil einer besser oder schlechter wäre, sondern weil die Bauweisen höchst unterschiedlich sind", so Brunthaler. "Bösendorfer hat diesen klassischen Wiener Ton mit irrsinnig viel Wärme, wie ihn kein maschinell gefertigtes Klavier hat. Da schwingt jeder Hammerkopf, jeder Stiel mit, und alles das hört man, da gibt's überhaupt keine Diskussion."

In der Intonierkammer

Während das Klavier jetzt Bassstege verpasst bekommt, und Diskantchöre, und noch allerlei, was hier auszuführen bei weitem zu kompliziert wäre, werden ein paar Räume weiter Klaviersaiten hergestellt. Rund um Stahlkerne unterschiedlicher Dicke - je nach Saitenart natürlich - spinnt Manfred Baumann ebenfalls unterschiedlich feine Kupferdrähte.

Bis zu 220 Saiten hat ein Klavier. Über sieben Stunden dauert es, bis alle "bezogen", also aufgespannt sind. Es folgt der Einbau der Mechanik und der Hammerköpfe. Das Klavier ist inzwischen lackiert, auf Hochglanz poliert und auch gestimmt. Man könnte schon darauf spielen. Aber jetzt kommt es in jene Kammer, in der ihm seine individuelle Persönlichkeit eingehaucht wird: "Wir kriegen ein fertiges rohes Klavier in die Intonierkammer geliefert, es wurde vorgestimmt, intoniert, ist aber vom Klangcharakter her noch komplett roh."

Hans Muff ist Konzerttechniker und Intoneur. Er bearbeitet jeden einzelnen Hammerkopf aus Filz mit Feilen und Nadeln verschiedener Stärke. Der maschinell gepresste Filz ist noch unvollkommen, er muss händisch perfektioniert werden. "Durch diesen Herstellungsvorgang haben wir Spannungsunterschiede im Hammerkopf, und die gleichen wir aus, indem wir mit Nadeln in den Filz stechen, ihn damit lockern, was ermöglicht, dass er seine elastische Wirkung entfalten kann", so Muff. "Wir wollen einen Ton, der über weiten Bereich rund und sanglich bleibt, ohne wegzublubbern. Das Grundideal von Bösendorfer ist ein kultivierter Ton, wir können zwar eine schreiende Kiste daraus machen, aber wir versuchen schon, pädagogisch einzuwirken."

Anschaffung fürs Leben

An einem 2 Meter 90 langen Imperial-Konzertflügel beispielsweise arbeiten Intoneure wie Hans Muff etwa zwei Tage. Und dieser enorme Aufwand hat natürlich seinen Preis: der teuerste Artisan - 223.500 Euro, der günstigste, schwarz poliert 62.242 Euro inklusive. Erich Weiguni: "Es ist natürlich klar, dass wir im höheren Preissegment liegen. Über 90 Prozent gehen in den Export, weil der österreichische Markt viel zu klein ist. Die großen Instrumente gehen an Institutionen und Universitäten, kleinere Modelle in den privaten Bereich. Natürlich ist aber ein Bösendorfer eine Anschaffung fürs Leben, allein schon wegen des höheren Kaufpreises. Aber es kommt nicht selten vor, dass die Enkel einen Bösendorfer zur Reparatur bringen, den bereits die Großeltern gekauft haben."

Das ist allerdings eine Tradition, die dem Untergang entgegendämmert, wie Kurt Brunthaler als Klavierlehrer am besten weiß. Heute kaufen Eltern dem Nachwuchs lieber spottbillige elektrische Klaviere als echte Instrumente. "Das ist ja an und für sich schon der Anfang vom Ende eines kultivierten Klavierspiels", meint Kurt Brunthaler. Denn Bösendorfer sind zwar keine Einstiegsinstrumente, aber wer auf einem mechanischen Instrument die Liebe zum Klavierspielen kennengelernt hat, der kauft sich vielleicht irgendwann einmal ein Spitzeninstrument.

"Die Leute haben sich natürlich auch früher keine Bösendorfer geleistet, aber sie haben zumindest noch von der Oma oder vom Opa ein Pianino oder einen alten Flügel herumstehen gehabt, und haben darauf den Kontakt zu einem mechanischen Instrument kennengelernt", sagt Brunthaler. "Heute kaufen die Leute verstärkt wesentlich billigere elektrische Klaviere. Da kommt der Ton aus dem Lautsprecher und hat unter keinen Umständen die Klangschönheit eines akustischen Instruments."

Verkauft an Yamaha

Obwohl Bösendorfer in Sachen Klang anerkannt Weltspitze ist, hat der Flügel aus Wien den Konkurrenzkampf gegen Steinway dennoch längst verloren. Die Schlacht wurde in den großen Konzertsälen dieser Welt geschlagen, und die Flügel, die dort stehen, sind zu 95 Prozent Steinway. Der Grund: Perfektes Marketing, zuvorkommendste Künstlerbetreuung, der längere Atem des amerikanischen Unternehmens nach dem Zweiten Weltkrieg. Und: intelligentere Eigentümer. Bis 1966 war Bösendorfer in Privatbesitz. Dann wurde das Unternehmen an den amerikanischen Möbel-Multi Kimball verkauft.

2002 übernahm die BAWAG-PSK-Gruppe die mittlerweile Verluste schreibenden Klavierbauer. 2008 schließlich ging das Prachtstück heimischer Handwerkskunst an Yamaha. Um kolportierte 14,7 Millionen Euro. "Das sei zum Weinen" kommentierte nicht nur Nikolaus Harnoncourt den Kultur-Export nach Japan. Bösendorfer soll als Marke zwar bestehen bleiben und auch weiterhin in Wiener Neustadt produziert werden, das neue japanische Management hat aber die Schließung des Wiener Werks samt Konzerthalle beschlossen. Nach 140 Jahren. Übrig bleibt immerhin der seit 1912 bestehende Bösendorfer-Stadtsalon im Musikverein. Und das Gefühl, dass die Musiknation Österreich ihr Erbe nicht entsprechend pflegt. "In den Veranstaltungssälen größerer Gemeinden stehen heute meist viertklassige Klaviere, die man nur noch als Wracks bezeichnen kann", ist Brunthaler enttäuscht. "Das ist eine Zumutung für die Kunst und für die Kultur."

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