Eine Frage des Spielraums

Der "freie Wille"

Nicht nur in der Philosophie, auch in den Religionen wurde immer wieder über die Freiheit des menschlichen Willens diskutiert und diese in Frage gestellt. Eine Leugnung des freien Willens hat allerdings weitgehende Konsequenzen.

Sind Menschen frei in ihren Entscheidungen? Das beschäftigt Philosophen und Theologen seit Jahrtausenden. Zu einer eindeutigen Antwort sind sie nie gelangt.

Die Meinungen darüber, ob das Handeln der Menschen vorherbestimmt ist oder nicht, gehen auseinander - weder in den asiatischen Religionen noch in den Abrahams-Religionen sind sich die Vertreter der einzelnen Traditionen in diesem Punkte einig.

Für Hindus und Buddhisten spielt das Karma, also die Folgen von Taten aus unzähligen Leben die Rolle einer kritischen Masse, die Entscheidungen determiniert - oder eben auch nicht. Für die Abrahams-Traditionen ist es Gottes Wille, der die Menschen bestimmt - oder eben auch nicht.

Ein vieldiskutiertes Experiment

Die Annahme eines freien Willens und die Annahme einer Prädestination des Schicksals finden sich nebeneinander in ein und derselben Religion. Das Experiment, das Benjamin Libet 1979 durchführte, legt nahe, dass Menschen in ihren Entscheidungen nicht frei sind.

Er zeigte, dass bevor die Versuchsperson den Impuls verspürt, eine Handlung auszuführen, im Gehirn ein Bereitschaftspotential zu messen ist. Der Zeitpunkt, zu dem der bewusste Wunsch zu handeln auftritt, liegt deutlich nach dem Zeitpunkt, an dem die Aktivitäten im motorischen Kortex zu messen sind.

Nicht mehr als ein "gutes Gefühl"

Der "freie Wille" scheint nicht mehr als ein "gutes Gefühl" zu sein, wie Wolf Singer vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung Frankfurt feststellte. Jedenfalls lässt sich empirisch immer genauer beschreiben, was geschieht, wenn sich jemand für eine Handlung entscheidet.

Dass heute so viele die Vorstellung attraktiv finden, dass der Wille nicht frei sei, hat für den Wissenschaftshistoriker und Mediziner Michael Hagner von der ETH Zürich eine entlastende Funktion - speziell in einer Situation der Krise, in der es notwendig wäre, anders und neu zu denken und zu handeln.

Determiniert, aber trotzdem frei

Naturwissenschaftliche Daten erklären menschliches Handeln nicht. Der Philosoph Michael Pauen von der Humboldt-Universität Berlin geht davon aus, dass mentale und neuronale Prozesse identisch sind.

Menschliche Handlungen sind determiniert, aber trotzdem frei. Die Alternative ist also nicht entweder Freiheit gleich völlige Indeterminiertheit oder völlige Determiniertheit. Freiheit ist eine Frage des Spielraums - ein Handwerk, das man lernen kann, wie der Berliner Philosoph Peter Bieri schreibt.

Die Intuition, dass Menschen sich in bestimmten Situationen als frei erfahren, zählt für den Wissenschaftstheoretiker Olaf Müller im Zweifelsfall mehr als die Ergebnisse empirischer Forschung.