Eugen Drewermann und das Weihnachtsevangelium

Der Sternsucher

Der Priester, Psychotherapeut und Autor Eugen Drewermann geht der Frage nach, welche Bedeutung Weihnachten heute noch haben kann. Er sieht das Fest als Zeichen der Notwendigkeit, aufzubrechen und den Engeln und Sternen zu folgen. Es ist das Fest des Neuanfangs.

Über die Stellung Weihnachtens im Neuen Testament

Begonnen hat die Geschichte nicht so festlich. Ein kleines Kind wird in einem armen Stall geboren. Und wegen der Geburt dieses Kindes feiert man bis heute Weihnachten. Die tiefere Bedeutung des Festes aber ist in der Zwischenzeit hinter Dogmen und Gebräuchen außer Sichtweite geraten. Man braucht schon eine Art Archäologie des Weihnachtsfestes, um die tiefere Bedeutung wieder in den Blick zu bekommen.

Eine der möglichen Zugangsweisen legt der Psychoanalytiker und ehemalige Priester Eugen Drewermann in seiner Interpretation der Texte des Evangeliums frei. Mit Weihnachten ist auch Drewermanns eigene Geschichte verbunden, hat er doch knapp vor Weihnachten 2005 seinen Austritt aus der römisch-katholischen Kirche öffentlich bekannt gegeben.

Weihnachten, so Drewermann, stellt die Menschen vor die Frage, woran sie wirklich glauben. Wer dabei bleibt, dass die Welt so weitergehen muss, wie sie ist, wird alles, was Weihnachten ist, für Illusion erklären. Wer im Gegensatz dazu an die Vision glaubt im Sinne einer Offenbarung was sein muss und sein soll, wird nicht zögern, danach zu leben. Daran schließt die Frage an, ob der Mann aus Nazareth ein König ist im Sinne der Wahrheit, wie Drewermann es formuliert, oder ob es eine historische Figur ist, über die wir herzlich wenig wissen und die dem beliebigen Urteil von Politikern, Theologen und anderen ausgeliefert bleibt. Gerade die Weihnachtsgeschichte in ihrer Poesie ist eine Form, so Drewermann, Menschen unmittelbar in ihr Herz, ihre Träume und in ihre Seele zu sprechen und diese Frage vorzulegen auf entweder oder, auf jetzt oder nie.

Bewegte persönliche Geschichte

Drewermann zählt zu den prominentesten und schärfsten Kirchenkritikern Deutschlands. Der römisch-katholischen Kirche ist er seit langem ein Stachel im Fleisch. Er wirft der Kirche vor, Gottes Botschaft an die Menschen zerredet, zergliedert, ihrer Gefühls- und Symbolkraft beraubt zu haben.

1991 erreichte der Streit um seine umstrittenen Ansichten über die römische Amtskirche seinen Höhepunkt: Der damalige Paderborner Erzbischof und spätere Kardinal Johannes Joachim Degenhardt (1926-2002) verhängte gegen den unliebsamen Kritiker ein Predigtverbot. Drewermann durfte keine "normalen Gottesdienste" mehr abhalten. Drei Monate zuvor war dem Priester bereits die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen worden.

Gott ist größer als die Kirche

Drewermann, der an der Katholischen Theologischen Fakultät in Paderborn Vorlesungen in Religionsgeschichte und Dogmatik gehalten hatte, sagte zum Dekret des Paderborner Oberhirten: "Gott ist weitaus größer als die Kirche, und erst recht als ihre engherzigen und machtbesessenen Repräsentanten hier auf Erden." Degenhardt hatte dem Querdenker in mehreren Anklagepunkten vorgeworfen, die Amtskirche und deren Bischöfe durch falsche Anschuldigungen beleidigt und verächtlich gemacht zu haben. Trotz faktischen Berufsverbots erreichten dessen Ansichten eine wachsende Zahl von Menschen. "Für die Gläubigen existiere ich, auch wenn die römisch-katholische Kirche ihre Augen vor mir verschließt", stichelte er einmal dazu.

Neben Hans Küng und Uta Ranke-Heinemann wurde der Abweichler einer der profiliertesten deutschen Kritiker Roms und baute seine Karriere als erfolgreicher Buchautor und gern gesehener Talkshowgast aus. Hier wirkt er selbstbeherrscht. Er wird auch dann nicht laut, wenn Mimik und Körpersprache höchste Erregung signalisieren. Doch argumentiert er mit aller Schärfe, weicht nicht zurück. Um Provokationen war Drewermann nie verlegen: So vertrat er in einem seiner vielen Bücher die These, der Zölibat schade der Psyche der katholischen Priester.

Der am 20. Juni 1940 im westfälischen Bergkamen geborene Drewermann führt privat das Leben eines Asketen. Der medienerfahrene Kirchenrebell hat noch nicht einmal ein eigenes Telefon und lebt auch ohne Auto und Kühlschrank. Die Bombenangriffe der letzten Kriegsjahre ließen ihn früh Angst in der Welt der Erwachsenen erleben. Schon als 14-Jähriger las er Schriften Albert Schweitzers, in denen er viele seiner späteren Kritikpunkte gegen die Amtskirche vorformuliert sah.

Der Paderborner legt die Bibel vor allem tiefenpsychologisch aus und knüpft damit an Traditionen Carl Gustav Jungs an. Vielleicht ist es für ihn nur folgerichtig, dass er neben der Heiligen Schrift in den vergangenen Jahren eine zweite Materie gefunden hat: Drewermann beschäftigte sich zunehmend mit den Märchen der Brüder Grimm.

Hör-Tipp
Imago, Donnerstag, 24. Dezember 2009, 23:03 Uhr