Kathedralen der Industrie

Schatzhaus der Industriekultur

Das Ruhrgebiet, bis vor wenigen Jahrzehnten das verschmutzte Herzland der Schwerarbeit in Deutschland, wandelt sich zu einer Kreativ- und Kulturmetropole. Essen mit dem "Ruhrpott" ist 2010 sogar eine der Europäischen Kulturhauptstädte.

Die Zeche Zollern in Dortmund, die Zeche Hannover in Bochum, die Henrichshütte in Hattingen oder das Schiffshebewerk Henrichenburg bei Waltrop: Das sind nur einige markante Beispiele für Denkmäler der Industriearchitektur, die das Ruhrgebiet geradezu in einer Überfülle zu bieten hat. Das gesamte, rund 100 Hektar große Areal der Zeche Zollverein in Essen wurde 2001 von der UNESCO sogar zum Weltkulturerbe erklärt. Am 9. Jänner 2010 finden hier die Eröffnungsfeierlichkeiten zur Europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010 statt.

Aus Brauerei wird Kreativzentrum

Viele Industrieanlagen wurden in Museen umgewandelt, manche werden neu genutzt. In Dortmund etwa wird derzeit das ehemalige Gebäude der "Union"-Brauerei mit dem weithin sichtbaren U auf dem Dach zu einem Kreativzentrum umgebaut. Freilich wurden etliche Zechen und Stahlwerke in den vergangenen Jahrzehnten schlichtweg abgerissen, einige abmontiert und nach China verschifft.

Industrienatur

Manche Anlagen wurden einfach auch der Natur zurückgegeben. Was dabei im Lauf von wenigen Jahrzehnten entstanden ist, nennt man "Industrienatur". Herausragende Beispiele dafür gibt es im ehemaligen Stahlwerk Duisburg-Meiderich, heute Landschaftspark Duisburg-Nord, und auf dem Gelände der Kokerei Hansa in Dortmund zu sehen.

Wo noch bis 1992 Kohle zu Koks verarbeitet wurde, um damit die Hochöfen zu befeuern, haben sich mittlerweile in Pflasterritzen, zwischen Rohrleitungen und sogar auf der unwirtlichen Ofendecke vom Aussterben bedrohte einheimische und exotische Pflanzen angesiedelt.

Brieftauben vs. Falken

Auch Rehe, Hasen und sogar Wanderfalken haben hier neuerdings ihren Lebensraum. Die Rückkehr der Raubvögel ist freilich nicht unumstritten. Brieftaubenzüchter - ein verbreiteter Sport im Ruhrgebiet - klagen darüber, dass ihnen immer wieder wertvolle Tiere von den Falken gerissen werden.

Dr. Ludger Kamphausen, ärztlicher Leiter der Taubenklinik in Essen (der einzigen in ganz Deutschland): "Die Greifvögel sind ein Riesenproblem. Wenn Jungtauben angegriffen werden, fliegen sie oft in Panik davon und kehren nie wieder zurück in ihren Schlag. Das ist oft auch ein großer materieller Verlust, denn eine Brieftaube kann einige Tausend Euro wert sein, in Ausnahmefällen sogar bis zu 50.000. Wenn Greifvögel neu angesiedelt werden und auf die Frage, wovon sie sich ernähren sollen, 'von den Brieftauben' geantwortet wird, halte ich das für eine Frechheit. Es kann nicht sein, dass der Schutz der einen Vogelart auf Kosten der anderen geht".

Boten verbesserter Luftqualität

Doch auch unscheinbarere Bewohner kehren zurück: Waren in den 1960er Jahren von den vormals unzähligen Flechtenarten nicht mehr als zwei übrig geblieben, so hat sich deren Zahl seit Ende der 1990er Jahre wieder auf über 60 Arten erhöht. Zurückzuführen ist das auf die nach dem Niedergang der Industrie deutlich verbesserte Luftqualität.

Kultverein Schalke 04
Jeder Fußballfan kennt Schalke 04, den 1904 im Stadtteil Schalke gegründeten Fußballverein. Die 2001 eröffnete, 61.000 Zuschauer fassende Arena "Auf Schalke" liegt zwar nicht mehr in Schalke, ist aber dafür eines der modernsten Stadien der Welt. In zehn Stunden kann die gesamte 11.000 Tonnen schwere, 118 Meter lange und 79 Meter breite Rasenwanne aus dem Stadion geschoben werden, und in nur 20 Minuten lässt es sich in eine Halle verwandeln. Bei geschlossenem Dach und ohne Rasenfläche ist es dann vielseitig verwendbar: Die Rockgruppe U2 ist in der Arena bereits aufgetreten, und am 7. Mai 2010 wird hier das Eröffnungsspiel der Eishockey-WM stattfinden.

Fankneipe "Auf Schalke"

Die Fans kommen selbstverständlich auch ins neue Stadion, die 61.000 Plätze sind immer ausverkauft, das Herz der hartgesottenen Anhänger schlägt aber weiterhin in Schalke. Insbesondere wenn das sogenannte Ruhr-Derby gegen Borussia Dortmund ansteht, geht es in der Fankneipe "Auf Schalke" in der Kurt-Schumacher-Straße, die mitten durch Schalke führt, hoch her.

Regelmäßig dabei ist Wilhelm Plenkers, genannt "Trompeten-Willy", der mit seinem Blasinstrument auch vor dem Großbildfernseher gegen den Erzrivalen zur Attacke bläst. So ein Derbysieg sei "wie das Salz in der Suppe", sagt er, und: "In Dortmund Punkte klauen ist das Geilste". Er ist schon seit seinem 8. Lebensjahr Schalke-Fan und von Beruf Dachdecker. Aber seine Berufung sieht er darin, "Trompeten-Willy" zu sein. Zum Glück ist seine (zweite) Frau, die er erst kürzlich geheiratet hat, genauso fußballverrückt wie er. Und wie der "Ruhrpott" insgesamt. Denn wie früher Kohle und Stahl, so gehört der Fußball wie eh und je zum Leben im Ruhrgebiet.

Service

Buch Thomas Parent, "Das Ruhrgebiet", Verlag Dumont

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