Antizipierte Apokalypse

Das Buch mit sieben Siegeln

Dort, wo Franz Schmidt mit dem Oratorium "Das Buch mit sieben Siegeln" scheinbar vertrautes Terrain betritt - zumal in den großen Fugen -, ist er bestürzend modern - zeitlos und unabhängig von dem, was zur Entstehungszeit modern war.

1937 sollte das 125. Bestandsjahr der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien begangen werden. Warum wählte Franz Schmidt für ein Oratorium zu diesem Anlass gerade die "Geheime Offenbarung" des Johannes voll apokalyptischer Dimensionen? Er ging nach eigenen Worten an den Stoff "als tief religiös empfindender Mensch", aber "vom Standpunkt des Künstlers aus" heran.

Die Worte des Johannes waren für ihn so aktuell wie zur Zeit ihrer Entstehung. Was war für ihn dieses Aktuelle? War es etwas Grundsätzliches, oder war es etwas durch Wahrnehmungen in der eigenen Gegenwart Bestimmtes?

Bestürzend modern

Franz Schmidt, der geistig wie leiblich in der untergegangenen Monarchie verankert war, als geborener Pressburger mit deutschsprachigem Vater und einer Mutter mit ungarischem Namen, aber aus slowakischer Bauernfamilie, beschwor hier nochmals seine eigentliche Heimat. War die Wahl des Oratorienstoffes ein Eingeständnis vor sich selbst, dass das, was in ihm noch lebte, dem Untergang preisgegeben ist?

Freilich, diesem Untergang stellte er sich mit all seinen verfügbaren künstlerischen Mitteln. Und gerade dort, wo er scheinbar vertrautes Terrain betritt - zumal in den großen Fugen -, da ist er bestürzend modern - zeitlos und unabhängig von dem, was damals modern war.

Prinzip Hoffnung

Worin war aber für Schmidt das Prinzip Hoffnung verankert? Johannes spricht ja von einer "neuen Erde", die Gott nach der Katastrophe, welche letztendlich auf zutiefst fehlerhaftes menschliches Handeln zurückgeht, für die Menschen guten Willens erschafft. Wo hat Schmidt diese zu finden vermeint?

Am 15. Juni 1938 wurde "Das Buch mit sieben Siegeln" uraufgeführt. Der Apokalypse einleitender Teil war mit dem "Anschluss" bereits Wirklichkeit geworden. Ihr schlimmstes Ausmaß sollte Franz Schmidt nicht mehr erleben.

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Hör-Tipp
Aus dem Konzertsaal, "Das Buch mit sieben Siegeln", Wiener Philharmoniker, Nikolaus Harnoncourt, Freitag, 8. Jänner 2010, 19:30 Uhr

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