"Ö1 Extra" zur Ausstellung "Kampf um die Stadt"
Wie klang Wien um 1930?
Seit November bespielt das Wien Museum mit einer Großausstellung das Wiener Künstlerhaus. "Kampf um die Stadt" entwirft ein Panorama von Wien am Beginn der 1930er Jahre. "Ö1 Extra" versucht eine musikhistorische Auseinandersetzung mit den Themen der Ausstellung.
8. April 2017, 21:58
So breit war das musikalische Spektrum der 1930er Jahre
Seit Mitte November 2009 bespielt das Wien Museum mit der Ausstellung "Kampf um die Stadt - Politik, Kunst und Alltag um 1930" erstmals seit langem wieder beide Geschoße des vis-à-vis befindlichen Künstlerhauses. Es sei "eine ans Gigantische grenzende Ausstellung", mit der wir "sicher an unsere Grenzen gegangen sind", sagte Museums-Direktor und Ausstellungs-Kurator Wolfgang Kos anlässlich der Eröffnung.
Tatsächlich erinnert die abwechslungsreich gestaltete Schau in ihrer Materialfülle an frühere Künstlerhaus-Großausstellungen wie "Traum und Wirklichkeit" und "Die Türken vor Wien": Anhand von rund 1.800 Objekten versuchen Kos und sein Team die Zeit um 1930 - als ungefährer Rahmen dienen 1927 (Justizpalastbrand) und 1934 (Bürgerkrieg) - aus verschiedensten kultur-, alltags-, sozial- und zeitgeschichtlichen Perspektiven zu beleuchten.
Die tiefen Gräben, die Kos in der Zeit ortet, werden in vielen Aspekten behandelt, doch wo die Fronten im Kampf "Asphalt gegen Scholle, Wurzeln gegen Beweglichkeit, urban gegen anti-urban, Emanzipatives, Freies, Selbstbestimmtes gegen die Abwehrhaltung der konservativen, katholischen Seite" (Kos) genau verliefen, ist nicht immer eindeutig festzumachen. Auch in der Verwendung der modernen Technik, die nicht nur in den Haushalten und in der Werbebranche, sondern auch bei den Parteien Einzug gehalten hatte, "waren die Mittel des Kampfes politisch nicht zuordenbar".
Wie klang Wien um 1930?
Was die Zeitgenossinnen und -genossen musikalisch wahrgenommen haben können, untersucht ein "Ö1 Extra", das begleitend zur Ausstellung entstanden ist. Darin spannt sich der Bogen von der Arbeiterbewegung mit ihrer ausgeprägten Liedkultur über die Operette in ihrer silbernen oder vielmehr nach-silbernen Ära, etwa mit Ralph Benatzky, der im "Weißen Rössl" aber wieder den Kaiser auftreten läßt. Und dann waren da natürlich Anton von Webern, Hans Gál, Egon Wellesz, Joseph Marx und etwa Josef Lechthaler, allesamt hochgradig akademisch gebildete Musiker (und die wenigsten von ihnen gebürtige Wiener!)
Gerade dieser akademische Hintergrund hat den modernen Komponisten einen differenzierten Zugang zur (musikalischen) Tradition ermöglicht. Das gilt insbesondere für die Komponisten der Wiener Schule. Anton von Webern etwa hat die Zwölftontechnik immer aus der Tradition und ihrer Fortführung erklärt.
Musikalische Volksbildung
Wie zum Ausgleich haben sich gerade die zuvor genannten Komponisten um eine nicht-elitäre Verbreitung von Musik bemüht, etwa in Form der Arbeitersinfoniekonzerte Anton von Weberns, oder im Sinn der volksliturgischen Bewegung, die eng mit Josef Lechthaler verbunden ist und auch den Kompositionen, die Hans Gál für Mandolinenvereine geschaffen hat. Das Motiv der Volksbildung hat durchaus dem damaligen Zeitgeist entsprochen. Wie eine Untersuchung der RAVAG-Programme zwischen 1930 und 1938 ergeben hat, wurde allerdings Anton von Webern nur ein Mal im Radio gesendet, Joseph Marx hingegen an die 200 Mal.
Die 1930er Jahre sind eine Zeit des politischen Kampflieds. Wie verquer die Grenzverläufe in dieser zunehmend politisierten Zeit verlaufen sind, lässt sich aber daran erkennen, dass das Andreas-Hofer-Lied "Zu Mantua in Banden", heute Tiroler Landeshymne, von den Sozialisten in "Dem Morgenrot entgegen, ihr Kampfgenossen all" umgedichtet wurde. Die Melodie stammt übrigens vom Niederösterreicher Leopold Knebelsberger.
Volksgesang
Es ist die Zeit der "Rede über Österreich" von Anton Wildgans, die die kulturellen Fundamente der Nation beschwört, es ist aber auch die Zeit des "Reisebuchs aus den österreichischen Alpen", Ernst Kreneks kritisch-liebevolle, gar nicht distanzierte Suche nach der Heimat. Es ist aber auch die Zeit der Volkssängerinnen und Volkssänger.
Interessanterweise hat die Volksmusikforschung dieses Feld die längste Zeit vernachlässigt. Volksmusikforschung hat sich für den ländlichen Raum interessiert. Erst seit etwa zwei Jahrzehnten wird der Untersuchungsbereich ausgedehnt. Das hat durchaus personelle Gründe. Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirkende Begründer der systematischen Volksliedforschung, Josef Pommer, habe Volkssänger geradezu gehasst, sagt Gerlinde Haid, vom Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der Universität für Musik in Wien. Gerade die Volkssänger waren ihm "ein bisschen zu intellektuell, zu urban in jedem Fall und zu schlüpfrig wahrscheinlich auch."
In den Ausstellungszeitraum fällt auch Herman Leopoldis "Erst kommt Österreich, und dann kommt lang nix", das Ausdruck der Identitätssuche nach dem Zusammenbruch der Monarchie und in Abgrenzung vom großen Bruder Deutschland ist.
Zentrum und Peripherie
Die Großstadt ist der Ort der modernen Massenkultur. Ihr wurde zunehmend die traditionelle Volkskultur am Land gegenübergestellt. In den frühen 1930er Jahren ist ein kultureller Wandel beobachtbar. Bei aller Attraktivität, die das Zentrum, gerade auf Kulturschaffende immer noch hat - der Tiroler Karl Schönherr will natürlich am Burgtheater in Wien aufgeführt werden - kann man eine zunehmende Idealisierung des Landes erkennen. Sie ist das sichtbare Zeichen antiliberaler, antidemokratischer Tendenzen. Ihren äußeren Ausdruck findet diese Haltung etwa im Trachtenchic, der sich bei den Salzburger Festspielen einstellt.
Auch das Aufkommen des Massentourismus' akzentuiert erneut dieses Thema von Vermassung der Stadt und dem idyllisch-ländlich Individuellen. Dies umso mehr, als viele Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Angehörige der ersten Generation waren. Wien wurde Großstadt durch Zuzug vom Land.
Ein deutsches Requiem
Was die hochkulturelle Wiener Musiklandschaft dieser Zeit betrifft, waren die Gedenkjahre an Franz Schuberts 100. Todestag (1928), Joseph Haydns 200. Geburtstag und der 100. Geburtstag von Johannes Brahms zentral. Neben der enormen Schubertseeligkeit des Jahres 1928, mit dem Franzl als Mensch wie du und ich unterm Lindenbaum und der beginnenden Aufwertung, die Haydn gerade in den Veranstaltungen des Wiener Musikvereins erfahren hat, ist es vor allem das Brahmsjahr 1933, das ein beredtes Zeugnis von der politischen Umbruchssituation jener Zeit gibt.
Johannes Brahms wurde von Deutschland aus wieder als deutscher Künstler reklamiert. Die deutsche Brahmsgesellschaft, die auch die Wiener Brahmsgesellschaft übernommen hat, wie Otto Biber, der Archivdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde betont, ist in aller Welt als Veranstalterin von Brahmsfeiern aufgetreten. Die Gesellschaft der Musikfreunde konnte sich dem nicht entziehen, aber einen Kontrapunkt gesetzt, indem sie Künstler eingeladen hat, die wahrlich nicht dieser deutschen Idee entsprochen hatten, Pablo Casals etwa. "Das war schon ein Signal", so Biber.
Mehr zur Ausstellung in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Ö1 Extra, Mittwoch, 6. Jänner 2010, 22:05 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Link
http://www.wienmuseum.at/de/ausstellungen.html?tx_wxexhibition_pi1[showUid=16&cHash=820405260e|Wien Museum] - Kampf um die Stadt
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