Helge Hintereggers Flugfeld
Deep Throat
Sampling war gestern. Die Musik der Zukunft kommt von Cyborgs. Sagt Helge Hinteregger. Und er ist bei dieser Verschmelzung von Mensch und Maschine ganz vorne mit dabei. In der Formation Flugfeld spielt er "throat", seinen maschinell zum Klingen gebrachten Rachen.
8. April 2017, 21:58
Vor etwa zwei Jahren begann Helge Hinteregger an einem ganz neuen Musikkonzept zu schmieden. Klar sei gewesen, dass es wieder um Sprache gehen sollte, und Hinteregger wollte an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine arbeiten. Geschichten über die Zukunft, in denen Menschen mit ihren Maschinen verschmelzen, gäbe es natürlich schon lange, so der Musiker, aber nun kommen wir in eine Ära, in der dies auch tatsächlich möglich ist, ohne großen Maschinenpark im Hintergrund.
Helge Hinteregger: "Mir war klar, dass es in diese Richtung ganz einfach gehen muss! Die 1990er Jahre waren das Zeitalter der Maschinen, und die Nullerjahre, dachte ich mir, müssen den Übergang markieren, zu diesen Mensch-Maschine-Mischformen, wie man es in allen anderen Wissensbereichen ja auch sieht, zum Beispiel in der Medizin, wo bereits die Nanotechnologie Einzug gehalten hat. Künstlerisch ist es natürlich eine Herausforderung an dieser Entwicklung mitzuarbeiten."
Klingender Rachen
Flugfeld nennt sich das gemeinsame Projekt mit Paul Skrepek und Martin Zrost, in dem Helge Hinteregger nun Mensch-Maschine ist. Paul Skrepek spielt Schlagzeug, Martin Zrost Bass und Saxophon und Hinteregger spielt "throat", seinen mit diversen technischen Erweiterungen zum Klingen gebrachten Rachen.
"Die Quelle des musikalischen Ausdrucks befindet sich im weitesten Sinne in meinem Kehlkopf," erklärt Helge Hinteregger, "dort ist der Ursprung der Geräusche die entstehen, wenn ich "throat" spiele. Rachen und Mundhöhle bilden den Resonanzkörper." Die so entstandenen Geräusche werden schließlich durch eine Reihe von Effektgeräten gejagt, durch sein "digitales Spielzeug", wie Hinteregger diese Effektgeräte gerne bezeichnet.
Bauen und Lernen
Auf der Suche nach einem Weg, seinen eingangs geschilderten Plan in die Tat umzusetzen, stöberte Helge Hinteregger eine Gerätschaft auf, die ursprünglich aus dem Bereich des Militärs kommt, und in den 1980er Jahren zur Kommunikation in Panzern eingesetzt wurde.
Mit Hilfe dieses Instrumentes wird das Gesprochene - nicht wie in der Regel üblich - mittels eines vor dem Mund platzierten Mikrophons, sondern mit am Adamsapfel befestigten Tonabnehmern eingefangen. So wird die alles übertönende Geräuschkulisse ausgeblendet und damit die Kommunikation im Panzer überhaupt erst möglich gemacht. Hinteregger hat dieses Gerät für seine Zwecke umgebaut.
Nachdem das Instrument entwickelte war, musste der Umgang mit ihm erlernt werden, schildert Helge Hinteregger. Als Saxophonist hätte er hier einen gewissen Startvorteil gehabt, weil die Tonbildung am Blasinstrument ja ebenfalls über das Öffnen des Rachens stattfindet.
Zurück zum Ursprung
Die Musik von Flugfeld weist nicht nur in die Zukunft, sie führt auch zurück zu den menschlichen Anfängen. "Das sind wohl die ersten Geräusche, die man in der Entwicklungsphase zum Menschen gemacht hat", sinniert Helge Hinteregger, "wahrscheinlich hat man aus diesen gutturalen Kehlkopflauten ganz einfach Kürzel geformt, die dann mit Hilfe des Rachens verändert wurden."
Expressive Bühnenperformance
Ursprünglich wirkt vor allem der visuelle Eindruck von Helge Hintereggers Performance, wenn er etwa sich in alle Richtungen windend den Rachen ganz weit aufmacht, um dicke Luftströme einzusaugen und wieder auszustoßen. Ein Anblick der im Publikum bisweilen Befremden auslöst. Immer wieder, erzählt Hinteregger, hört er von Dritten, dass Leute sich nicht mehr trauen würden, ihn anzusprechen, nachdem sie ihn live performen gesehen haben.
Helge Hinteregger: "Zum Teil denken sich die, dass das ein irrsinnig abgespaceter, arger Freak sein muss, dem man besser nicht zu nahe kommen sollte, weil der könnte plötzlich kurz aushirschen und irgendwelche Dinge tun, von denen man nicht will, dass sie getan werden. Das ist eigentlich recht lustig."
100 Prozent live improvisiert
Die Stücke für das Debütalbum "Flugfeld" sind in den "Feedback Studios" und live im Wiener rhiz entstanden. Alles ist improvisiert und die Speicher seiner Maschinen seien zu Beginn jeweils leer gestanden, führt Helge Hinteregger weiter aus. Nur dann nämlich sei es auf der Bühne für ihn noch spannend. Gut vorbereitet sei er bereits die letzten fünfzehn Jahre gewesen, als sein Hauptinstrument der Sampler war.
Die Formation Flugfeld ins Leben gerufen hat Helge Hinteregger gemeinsam mit Paul Skrepek und Martin Zrost. Er habe mit einigen Musikern versucht zusammenzuspielen, und mit diesen beiden hätte es schlichtweg am besten funktioniert.
Herausfordernde Zusammenarbeit
Helge Hinteregger: "Es macht einen irrsinnigen Spaß mit den beiden, weil sie einen auch fordern! Ich muss immer dran bleiben und das Ding weiterentwickeln. Weil es besteht ja die Gefahr, dass man eine bestimmte Ausdrucksform erarbeitet hat und diese dann immer wiederholt. Mit Paul Skrepek und Martin Zrost kann das nicht passieren, ganz im Gegenteil."
Mit Paul Skrepek und Martin Zrost könne man in alle möglichen Musikrichtungen aufbrechen. Auf ihrer ersten Veröffentlichung sollte es aber nicht zu bunt einhergehen, hier bewegen sich alle Stücke im weitesten Sinne im Bereich der Rockmusik, nicht ohne gelegentliches Augenzwinkern.
Hör-Tipp
Zeit-Ton, Donnerstag, 7. Jänner 2010, 23:05 Uhr
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CD-Tipp
"Flugfeld" von Flugfeld, Rock is Hell, rip26
Links
Rock Is Hell
Youtube - Video der Liveperformance im rhiz