Eine Revolution in der Gerichtsmedizin

Virtopsy

Bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanz sollen es einfacher machen, mehr über ungeklärte Todesfälle zu erfahren. "Virtopsy" - virtuelle Autopsie - nennt sich die Methode, die die Forensik ebenso revolutionieren könnte wie die DNA-Analyse.

In Deutschland bleibt jeder zweite Mord unentdeckt, behauptet eine Studie. Vor allem deswegen, weil dort bei Toten nur selten Autopsien durchgeführt werden und die Ärzte bei der Leichenbeschau nur sehr oberflächlich nach Fremdverschulden suchen.

Bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanz könnten es einfacher machen, schnell mehr über unklare Todesfälle zu erfahren - und vor allem Dinge zu sehen, die äußerlich keine Spuren hinterlassen.

"Virtopsy" - kurz für "virtuelle Autopsie" - nennt sich der Blick in den toten Körper mit Hilfe von Computertomographie oder Magnetresonanz - Verfahren, die bisher den Lebenden vorbehalten waren. Kriminalisten trauen der Methode zu, dass sie die Forensik ebenso revolutionieren könnte wie einst die DNA-Analyse, der genetische Fingerabdruck. Der wurde von Richard Dirnhofer für die Rechtsmedizin nutzbar gemacht. Der österreichische Gerichtsmediziner, der zuletzt in Bern lehrte und forschte und jetzt emeritiert ist, ist auch das Mastermind hinter der Entwicklung der virtuellen Autopsie.

Unsichtbares sichtbar machen

Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet Richard Dirnhofer an Methoden, Leichen mit Hilfe bildgebender Verfahren zu obduzieren - also eine Art "minimalinvasive Autopsie" zu entwickeln. Dabei wird manches sichtbar, was bei der konventionellen Leichenöffnung, so sie denn überhaupt durchgeführt wird, normalerweise unsichtbar bleibt.

Ein Beispiel ist, laut Richard Dirnhofer, die Darstellung von eingeschwemmter Luft in den Kreislauf. "Das ist ein riesengroßes Problem. In der Gerichtsmedizin ist das die Todesursache. Wie viel Luft wurde eingeschleppt, wohin wurde die Luft eingeschleppt - nur in die Lunge oder auch in das Gehirn -, das können sie nicht sehen. Sie können indirekte Prüfungen machen, indem sie zum Beispiel das Herz, im Herzbeutel, mit Wasser füllen und dann in die Herzhöhle einstechen und wenn dann dort eine Luftblase auftritt, dann können sie vermuten, dass hier einen Luftembolie ist. Das könnte aber genauso gut eine Fäulnisgasblase sein und dann können sie nicht unterscheiden: Ist das Luft oder Gas. Natürlich könnten sie eventuell noch eine chemische Analyse machen, aber mit dem Computertomografischen Bild haben sie auf eine Blick: wie viel Luft, wo ist die Luft, ist das Fäulnis, ist das tatsächlich Luft."

Die Menge der Luft gibt den Rechtsmedizinern Auskunft über die Schwere der Verletzung, die eventuell zum Tod geführt hat. Wissen wie dieses ist nicht nur bei Gewaltverbrechen wichtig, sondern in jedem Fall, wo rechtliche Konsequenzen zu erwarten sind - bei Arbeitsunfällen genauso wie bei Verkehrsunfällen.

Auch Tatorte werden in 3D-Modellen abgebildet

"Primär geht es darum wie sich der Unfall ereignet hat. Ist zum Beispiel der Fußgänger von rechts oder von links gekommen, ist diese Person bereits auf der Straße gelegen, weil er betrunken war? Was ist dann passiert? Ist er zweimal überfahren worden? Also diese rekonstruktiven Fragen stehen im Vordergrund noch vor der Todesursache".

Und genau das kann man mit der Virtualisierung der Leiche einfacher aufklären. Auch Tatorte werden vielfach bereits in 3D-Modellen abgebildet, ebenso Tötungswerkzeuge. So können die Virtopsy-Experten virtuell überprüfen, welche Waffe zu einem Verletzungsmuster passt. In Bern konnten Dirnhofer und sein Team unter anderem einen Mordfall aufklären, in dem es darum ging, wer von mehreren Tätern den tödlichen Stich gesetzt hatte.

Auch die Roboterchirurgie ist bei der Virtopsy wichtig

Virtopsy bedient sich aber nicht nur der Computertomographie, die Körperbilder mit einer Auflösung von einem Zehntel-Millimeter liefern. Auch die Roboterchirurgie spielt für Richard Dirnhofer bei der Untersuchung der Leiche eine große Rolle, denn sie erlaubt es, möglichst kontaminationsfrei Proben zu entnehmen:

Für Richard Dirnhofer steht schon jetzt fest, dass der Seziersaal der Zukunft eine hochautomatisierte Bildgebungsstraße sein wird - die noch dazu billiger Ergebnisse liefert als die klassische Obduktion. Denn die virtuelle Autopsie erzeuge eine "Faksimile der Leiche" - dadurch werde es endlich möglich, die Leichenbeschau zu objektivieren und Daten zu teilen.

Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 14. Jänner 2010, 19:06 Uhr

Buch-Tipp
Martin Grassberger und Harld Schmid, "Todesermittlung", Springer Verlag

Tipp
Die Klinisch-forensische Ambulanz für Gewaltopfer in Graz ist unter der Telefonnummer 0664/ 84 38 241 rund um die Uhr erreichbar.

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