Rascher Aufstieg, rasche Ehen
Helmina von Chézy
Helmina von Chézy schrieb Texte für Weber und Schubert, war befreundet mit Chamisso und den Schlegels, stand in Kontakt mit Mendelssohn und E.T.A.Hoffmann. Sie war sozial engagiert, politisch wach. Warum ist über sie dennoch kaum Positives zu lesen?
8. April 2017, 21:58
"Es war keine Spur von weiblichem Benehmen, von Anmuth, am allerwenigsten aber von jener Zartheit zu finden, welche uns aus jedem ihrer Gedichte so wohltuend anhauchte", urteilt Ignaz Franz Castelli, der Wiener Schriftsteller aus dem Schubert-Umfeld. "Frau Helmina von Chézy war ein Mannweib und meine Freunde (...) nannten sie immer das Chézy."
Die "unsägliche" Wilhelmine von Chézy, die Carl Maria von Weber seine "Euryanthe" verdorben hätte und Franz Schubert seine "Rosamunde", eine Dilettantin, "heillos", "berüchtigt", "metierfremd", epigonal - so geistert die 1783 in Berlin Geborene, die in den 1820er Jahren Wiener Theatergeschichte mitschrieb, durch die Literatur, bis heute. "Als ob nicht jederlei Vertonung auch Komplizenschaft mit dem Vertonten herstellte!", entgegnet Dirigent und Musikforscher Peter Gülke.
Der Weg nach Paris
Wilhelmine Christiane de Chézy war eine geborene von Klenke, Tochter einer Schriftstellerin und eines preußischen Offiziers, jung begabt, verheiratet und wieder geschieden, in Paris knapp nach der Jahrhundertwende Korrespondentin und dann selbst Herausgeberin einer Zeitschrift "Französische Miszellen", die immer wieder mit der Zensur Probleme bekamen - schon in ihren frühen Jahren keine uninteressante Persönlichkeit!
Sie wuchs elternlos auf, aber mit dem Vorbild der dichtenden Großmutter Anna Louisa Karsch, der verehrten "Karschin". Durch Dorothea und Friedrich Schlegel, für die sie Brotarbeiten ausführte, lernte die geschiedene Helmina von Hastfer in Paris den Orientalisten Antoine-Léonard de Chézy kennen, der - für ein paar Jahre - ihr zweiter Ehemann wurde und Vater ihrer Kinder. Er steuerte auch einige Passagen zu Helima von Chézys zweibändigem Zeitpanorama "Leben und Kunst in Paris seit Napolon I." bei.
Rastlos und sozialutopisch
Perfekt französisch sprechend (und überhaupt sprachbegabt), in den Salons nicht nur der in Paris lebenden Deutschen herumgereicht, journalistisch aktiv, aber bemüht, sich eine eigenständige literarische Karriere aufzubauen: So haben wir uns die Mitt-Zwanzigerin Helmina von Chézy vorzustellen. Für ihre beiden Paris-Bücher spaziert sie durch Klein-Trianon bei Versailles und durch Malmaison, das Lustschloss der Kaiserin, schildert Volksleben, Vergnügungen und Feste in der Hauptstadt und gibt die Kunstdebatten unter Ihresgleichen wieder.
Autobiographisches bleibt ausgespart - dass die Chézys bald getrennte Wege gehen, Helmina Affairen hat (unter anderem mit Adalbert von Chamisso), ein drittes Mal schwanger wird, nach einem Jahr das Kind verliert ... Als alleinerziehende Mutter verlässt Helmina von Chézy Paris. Rastlose Jahre in Deutschland beginnen. Während der Befreiungskriege arbeitet sie freiwillig in Lazaretten, deren Zustände sie lautstark anprangert, worauf sie vors Berliner Kammergericht kommt, aber freigesprochen wird.
Sie bleibt durch dieses soziale Engagement "öffentliche Person", auch als sich "der frühere Reiz einer etwas skurrilen Originalität" (Oswald Panagl) verflüchtigt und die Kontakte zu Verlagen, Redaktionen und Intendanzen verebben. Das Lebensende ist traurig: Verarmt und erblindet stirbt Helmina von Chézy 1856 in Genf. Einer ihrer Söhne schreibt ihr ins Grab Lebenserinnerungen nach, die die Schwächen der Vielbegabten dem Gespött der Nachwelt preisgeben.
Die Wiener "Euryanthe"-Premiere
Carl Maria von Weber, der Helmina von Chézy im "Dresdener Liederkreis" kennenlernte, wusste, wer die Frau war, der er 1821 das Libretto für den neuen Opernauftrag aus Wien anvertraute. Wie neuere Forschungen zeigen, war er an der Wahl des "Euryanthe"-Stoffes, am Handlungsentwurf (mit seinen vielen unmotivierten "Brüchen") und sogar an der Festlegung der oft ausgefallenen, "schwierigen" Versmaße engstens beteiligt. Er suchte den Ansporn, eben keinen "zweiten 'Freischütz'" zu liefern, den sich der Kärntnertor-Impressario Domenico Barbaja wünschte, sondern Neues: die durchkomponierte große deutsche romantische Oper.
Ein Dichter-Routinier wäre bei der Ausführung, bei der es sich dann auch zwischenmenschlich "spießte" zwischen Weber und Chézy, zweifellos geschickter gewesen, hätte aber weniger riskiert. Übrigens war die Wiener "Euryanthe"-Premiere 1823 kein Misserfolg: Dresden und Berlin spielten das Werk bald nach, mit Umstellungen, Kürzungen, "Verbesserungen".
"Rosamunde" mit Schubert-Musikzutaten
Sehr wohl ein Reinfall war die Uraufführung von Helmina von Chézys "Rosamunde" mit Schubert-Musikzutaten im gleichen Jahr. Ob aber "Rosamunde" deshalb um so vieles schlechter ist als der Rest der zeittypischen Bühnentexte? "Ich hatte sie mir anders vorgestellt und fand eine kleine, untersetzte Frau mit sprechenden Augen und freundlichen Zügen, die in früheren Jahren hübsch gewesen sein mochten, denen man aber jetzt nicht bloß die Spuren vorgerückten Alters, sondern einer nicht sorgenfreien, bequemen Existenz ansah", erinnert sich Caroline Pichler, die Wiener Autoren-Kollegin. "Auch antwortete sie mir, als ich sie fragte, wo ihr gewöhnlicher Aufenthalt sei: 'Ich habe keine Heimat!'"
Hör-Tipp
Stimmen hören, Donnerstag, 14. Jänner 2010, 19:30 Uhr
Buch-Tipps
Oswald Panagl: "Bewundert wenig und viel gescholten", in: "Die 'Schaubühne' in der Epoche des Freischütz", Vorträge des Salzburger Symposions 2007; Verlag Mueller-Speiser, Anif/Salzburg 2009
Helmina von Chézy: "Leben und Kunst in Paris seit Napoleon I." Kommentierte Ausgabe, herausgegeben von Bénédicte Savoy; Akademie Verlag Berlin 2009
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