Der neue Film der Coen-Brüder

A Serious Man

Voller Kindheitserinnerungen, sagen die Brüder Coen, stecke ihr neuer Film "A Serious Man", eine rabenschwarze Komödie aus dem amerikanischen Mittelwesten: Der College-Professor Larry, ein Mann ohne Eigenschaften, wäre so gerne "A Serious Man".

Es gibt wohl wenige Filmemacher, die das zeitgenössische Independent-Kino so beeinflusst haben wie die Coen-Brüder. Joel und Ethan erzählen nicht einfach Geschichten, in ihren Arbeiten bauen sie - Stück für Stück, Ziegel um Ziegel - die USA und ihre Mythen neu auf. Und haben sich damit einen Stockerlplatz im popkulturellen Gedächtnis erkämpft.

Viele ihrer Figuren genießen vor allem bei jungen Cinephilen Kultstatus - sei es Jeff Bridges' Kette rauchender Edel-Loser aus "The Big Lebowksi" oder Frances MacDormands hoch schwangere, neurotische Polizistin in "Fargo".

Hinter jedem Bild ein zweites

Die Coens wachsen mit Film Noirs, Western und Komödien auf; und arbeiten ihre Erinnerungen daran in die eigenen Filme ein. Als reine Referenzschleudern kann man sie aber nicht bezeichnen: Jeder ihrer Filme kreiert ein Universum, das sich zwar aus der Kinogeschichte speist, aber dennoch vollkommen eigenständig ist.

"A Serious Man" ist der bisher persönlichste, weil autobiografischste Film der Brüder. Aber wie immer bei diesen Regisseuren, verbirgt sich hinter jedem Bild ein zweites, kann alles auch einfach "a big joke" sein.

Filme wie alte und neue Häuser

Die öffentlichen Auftritte von Joel und Ethan Coen sind mindestens so verschroben wie ihre Filme. Das Spiel mit Oberflächen und Wirkungen beherrschen sie ohnehin wie nur wenige andere Regisseure: Auf den ersten Blick erzählen ihre Arbeiten einfache Geschichten. Legt man sie aber unter ein Mikroskop, dann stößt man auf ein labyrinthisches Bauwerk voller Quer-Verweise, Hommagen und geheimer Codes. Nicht umsonst gelten die Brüder als Meister des postmodernen Kinos.

"Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt: ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern", schreibt Ludwig Wittgenstein in seinen "Philosophischen Untersuchungen". 1979 schließt Ethan sein Princeton-Studium mit einem Essay über das Werk des österreichischen Philosophen ab.

Auch die Filme der Coens sind "alte und neue Häuser; und Häuser mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten". Ihre Stadt entsteht in Minnesota: Die Brüder wachsen in einem Vorort von Minneapolis in behüteten Verhältnissen auf, ihre Freizeit verbringen sie vorwiegend mit Filmen, die sie mit ihrer ersten eigenen Kamera im Garten nachdrehen. Aus alten werden neue Häuser. Die Lust am Mimikry und das Abarbeiten an den eigenen Film-Erinnerungen stehen im Zentrum des Coen-Kinos.

Hard-Boiled-Film zu Beginn

1984 kommt der Brüder erster Streich in die amerikanischen Kinos: "Blood Simple" erzählt von einem eifersüchtigen Barbesitzer, der einen Privatdetektiv mit dem Mord an seiner untreuen Frau und ihrem Liebhaber beauftragt. Die Atmosphäre des Films mit ihren harten Schattenwürfen und vielen Nachtsequenzen ist tief verwurzelt im Film Noir. Der Titel "Blood Simple" bezieht sich sogar explizit auf einen Hard-Boiled-Roman des amerikanischen Autors Dashiell Hammett.

Vor allem aber ist es das amerikanische Kino der 1930er und 40er Jahre, auf das sich die Coens immer wieder rückbeziehen - eine Periode, die von den großen Hollywood-Studios dominiert ist; in der sich nicht zuletzt in B-Movies Genres ausformen wie der Film Noir, die Screwball Comedy und der Gangster-Thriller.

Postklassischer Gangsterfilm

"Barton Fink" aus dem Jahr 1991 ist ein postklassischer Gangsterfilm. Die den frühen Hollywood-Studioarbeiten entnommenen Typen, Handlungsorte und Atmosphären werden von ironischen Einsprengseln und überraschenden Plot-Twists unterwandert. Der Thriller gewinnt die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes und etabliert die Coens endgültig als Big Player in der Industrie.

Mindestens ebenso wichtig wie die von den Brüdern gemeinsam verfassten Drehbücher sind die Bilder ihrer Filme: Mit "Barton Fink" beginnt ihre langjährige Zusammenarbeit mit dem mehrfach Oscar-nominierten Kameramann Roger Deakins. Er ist es auch, der die absurden Welten von "Fargo" und "The Big Lebowski" auf die Leinwände bringt. Beide Filme sind kommerzielle Erfolge. Die Coens werden zu Kult-Regisseuren einer neuen Kinogänger-Generation.

Wie gemacht für die Download-Generation

Spätestens zu Beginn der 2000er Jahre sind Joel und Ethan Coen als Coolness-Ikonen festgeschrieben: In Studentenwohnungen hängen "Lebowski"-Poster neben solchen von Tarantino- und Jarmusch-Filmen. Ihr Kino aus alten und neuen Häusern scheint wie gemacht für die DVD- und Download-Generation: In der digitalen Wunderwelt ist es für den Zuseher viel einfacher, die Quer-Referenzen und Zitate in den Coen-Filmen zu entschlüsseln.

Die Brüder aus Minnesota gehen ihren Weg derweil unbeirrt weiter: mit "Intolerable Cruelty" drehen sie 2003 eine moderne Version der Screwball Comedy; und ihre lakonische Verfilmung von Cormac McCarthys Neo-Westernroman "No Country for Old Men" wird mit gleich vier Oscars gekrönt.

Startschuss zur Radikalisierung

Im Licht ihres großen Erfolgs, erscheint ihr jüngster Wurf "A Serious Man" wie der Startschuss zu einer Radikalisierung: Zum ersten Mal in ihrer Karriere spielt kein wieder erkennbarer Star in einer Hauptrolle. Zum ersten Mal bauen sie auch nicht auf ein existierendes Genre, sondern auf ihren eigenen Leben auf.

"A Serious Man" spielt in ihrer Heimatstadt St. Louis Parks Mitte der 1960er Jahre. Erzählt wird vom jüdischen Physikprofessor Larry, dessen geordnetes Leben nach und nach in sich zusammenfällt.

Mit "A Serious Man" eröffnen die Coen-Brüder einen neuen Weg in ihr reichhaltiges Oeuvre, denn in gewisser Weise sind auch ihre früheren Arbeiten autobiografisch eingefärbt. Weil sie sich als Autoren Geschichten, Figuren und Orten zugewandt haben, die seit ihrer Kindheit durch ihre Köpfe spuken. Vielleicht sind sie mit "A Serious Man" jetzt in die "alte Stadt" zurückgekehrt, in der alles seinen Ausgang genommen hat, von der aus Ethan und Joel durch "ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen" gewandert sind, dabei Hunderte und Tausende von Eindrücken aufgesammelt und daraus ihr "neues Haus" gebaut haben. Im Kino, gleichsam in der Mitte der Welt.

Service

Film "A Serious Man", Regie und Drehbuch: Joel und Ethan Coen, mit Michael Stuhlbarg, Richard Kind, Fred Melamed und anderen

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