Kunst und Kultur als gemeinsame Sprache

Frühstücken für die Völkerverständigung

Die Gegend rund um den Brunnenmarkt in Wien-Ottakring mit ihrem hohen Anteil an Migrant/innen gilt als das multikulturelle Viertel der Stadt. Die Wiener Caritas erwarb hier 2007 eine Markthalle und gestaltete sie zu einem interaktiven Kulturzentrum aus.

Anne Wiederhold will Berührungspunkte schaffen.

Jeden ersten Sonntagvormittag im Monat werden die Heurigenbänke aufgestellt. In der "Brunnenpassage" kommen die Bewohner und Bewohnerinnen des Grätzels zusammen, Getränke gibt es gratis, das Essen für den Brunch jedoch soll jeder selbst mitbringen. "Piknik" wird diese Veranstaltung genannt. Motto: Bring ein, was in deinem Zuhause, in deiner Kultur gefrühstückt wird. Dann wird Börek neben Kaisersemmel gelegt, Oliven neben Marillenmarmelade, man tauscht sich aus, man kommt ins Gespräch.

Doch Integration geht nicht nur durch den Magen, sondern findet auch mit vollem Körpereinsatz statt. An einem Dienstagnachmittag steht Anne Wiederhold in dem großen, offenen Saal mitten auf dem Yppenplatz in Wien-Ottakring und verbiegt sich gemeinsam mit einer Gruppe von Menschen nach den Anweisungen eines mexikanischen Profisängers, um ihren Stimmapparat für die nachfolgende Chorprobe zu lockern. "Stimm dich ein!" - Wie die meisten Angebote der Brunnenpassage ist auch dieser Kurstitel als freundliche Aufforderung zum Tätigwerden formuliert.

Kunst zum Mitmachen

"Wir sind alle selbst Künstler, die wir hier beschäftigt sind", sagt Anne Wiederhold, die Leiterin der Brunnenpassage. Die 35-jährige Deutsche ist ausgebildete Schauspielerin. Seit zehn Jahren in Wien, managte sie hier zunächst kleinere Kulturbetriebe. Dass sie einmal für die Caritas arbeiten würde, hätte sie sich nicht gedacht.

Früher war das hier eine der Markthallen, die den Grünmarkt in der benachbarten Brunnengasse abschließen. 2007 erwarb die Wiener Caritas das Gebäude und gestaltete es zu einem interaktiven Kulturzentrum aus. Das Ziel: "Über Kunst und Kultur erlebbar machen, dass eine Vielfalt von Individualität und kultureller Herkunft eine Gesellschaft bereichert."

Kulturen, Geschlechter, Generationen

Das Brunnenmarktviertel gilt als "multikulturelle" Gegend. Seit den 1970er Jahren haben sich vor allem türkische Händler und Gastronomen hier angesiedelt. Heute kann man im bunten Stimmengewirr aber auch Serbisch, Kroatisch, Arabisch und Ur-Wienerisch hören. Nicht nur kulturelle Traditionen, auch verschiedene Generationen und Bildungsschichten stoßen hier Tür an Tür aufeinander.

Die Brunnenpassage entstand als Versuch, diese Bevölkerungsteile zusammenzuführen. Unter "Kunst" will Anne Wiederhold dabei vor allem die darstellenden Genres verstanden wissen: Kunst zum Mitmachen ist die Formel, nicht passive Rezeption. Bei Tanz-, Gesangs- und sogar DJ-Workshops sollen die Anrainer und alle Interessierten Gelegenheit bekommen, in Bewegung, Musik und Spiel die gemeinsame Sprache zu finden, die im Alltag oft vermisst wird. Die Finanzierung erfolgt über Sponsoren und freiwillige Spenden, der Zugang soll für die Einzelnen so niederschwellig wie möglich sein.

Gemeinschaftsgefühl, selbstgemacht

Der Chor der Brunnenpassage ist so etwas wie ein Aushängeschild des Projektes: Die bis zu 70 Teilnehmer/innen absolvieren regelmäßig öffentliche Auftritte. Gemeinsames Singen gilt ohnehin als "sozialer Kitt": Es "synchronisiert Gruppen und euphorisiert den Einzelnen", schrieb zum Jahreswechsel die Wochenzeitung "Die Zeit". Beim "Brunnenchor" soll dieses Modell auch kulturübergreifend wirken - wenn etwa ein türkischer Chorleiter seinem gemischten Publikum ein mazedonisches Volkslied beizubringen versucht. Die Teilnehmenden finden, dass das funktioniert.

Die Architektur scheint ihr Übriges zu tun: Die Mehrzweckhalle ist von zwei Seiten ebenerdig zugänglich, und wenn hier gerade wieder gesungen, getrommelt oder getanzt wird, kann man auch tatsächlich immer wieder Passanten sehen, die sich an den Glasscheiben die Nasen plattdrücken. Manche trauen sich schließlich auch hinein.

Hör-Tipp
Moment, Montag, 25. Jänner 2010, 14:40 Uhr

Links
Brunnenpassage
Caritas Wien
Die Zeit - "Froher Schall"